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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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unterhalten.«
    »So ist es gewiß, Madame«, sagte der Spion. »Sie wird demnächst heiraten.«
    »Demnächst?« wiederholte Madame. »Sie war hübsch genug, daß man glauben sollte, sie hätte das längst getan. Ihr Engländer seid kalt, scheint mir.«
    »Oh, Ihr wißt, daß ich ein Engländer bin?«
    »Ich merke es an Eurer Sprache«, entgegnete Madame; »nach ihr beurteile ich den Mann.«
    Er schien diese Identifikation nicht für ein Kompliment aufzunehmen; doch machte er eine gute Miene dazu und lachte. Nachdem er seinen Kognak ausgeschlürft hatte, fügte er hinzu: »Ja, Miß Manette ist im Begriff, sich zu verehelichen. Aber nicht mit einem Engländer, sondern mit einem Manne, der, wie sie selbst, durch seine Geburt Franzose ist. Und da wir von Gaspard gesprochen haben – ach, der arme Gaspard! es war grausam, sehr grausam –, seltsamerweise muß es sich fügen, daß sie den Neffen des Herrn Marquis heiratet, um dessentwillen Gaspard um so viele Fuß erhöht wurde – mit anderen Worten, den gegenwärtigen Marquis. Aber er lebt unbekannt in England und ist dort kein Marquis, sondern läßt sich Mr. Charles Darnay nennen. D'Aulnais heißt die Familie seiner Mutter.«
    Madame Defarge strickte stetig fort; aber die Kunde machte einen sichtlichen Eindruck auf ihren Gatten. Er mochte hinter dem kleinen Zahltische tun, was er wollte – Licht schlagen oder seine Pfeife anzünden –, seine Unruhe verbarg sich nicht, und seine Hand blieb unsicher. Der Spion hätte kein Spion sein müssen, wenn ihm dies entgangen wäre und sich seinem Gedächtnis nicht eingeprägt hätte.
    Nachdem Mr. Barsad wenigstens diesen Brosamen – vielleicht ließ sich doch etwas daraus machen – aufgefischt hatte, zahlte er, da kein anderer Gast kam, um ihm zu einem weiteren zu verhelfen, seine Zeche und verabschiedete sich, wobei er in höflicher Weise das Vergnügen fernerer Besuche bei Monsieur und Madame Defarge in Aussicht stellte. Er hatte sich schon einige Minuten in den Gassen von Saint Antoine verloren, während Mann und Frau noch immer für den Fall,
daß er zurückkäme, die gleiche Haltung bewahrten wie bei seinem Abgang.
    »Kann es wahr sein, was er von Mamsell Manette gesagt hat?« begann endlich Defarge, der noch immer rauchend hinter seiner Frau stand und die Hand auf der Stuhllehne liegen hatte, mit gedämpfter Stimme.
    »Da er's gesagt hat«, versetzte Madame, ihre Augenbrauen ein wenig in die Höhe ziehend, »so ist es wahrscheinlich eine Lüge. Indes wäre es wohl möglich.«
    »Wenn's so wäre …«, sagte Defarge und hielt wieder inne.
    »Wenn's so wäre?« wiederholte seine Frau.
    »Und wenn es soweit kommt, daß wir den Triumph erleben, so hoffe ich um ihretwillen, daß die Vorsehung ihren Mann von Frankreich fernhält.«
    »Ihren Mann«, sagte Madame Defarge mit ihrer gewöhnlichen Fassung, »wird das ihm bestimmte Schicksal ereilen, wo er auch sei, und seinem Ziele zuführen. Was kümmert uns das?«
    »Ja, aber doch sonderbar– oder ist es wenigstens nicht jetzt sehr sonderbar«, versetzte Defarge, gewissermaßen unterhandelnd mit seinem Weibe, als möchte er sie zu einem Zugeständnis bewegen, »daß bei aller unserer Sympathie für ihren Herrn Vater und sie der Name ihres Gatten in diesem Augenblicke neben dem des höllischen Schurken, der uns eben verlassen hat, eingezeichnet werden mußte?«
    »Wenn es soweit kommt, werden sich noch seltsamere Dinge zutragen«, antwortete Madame. »Ich habe allerdings beide hier, und sie stehen da um ihrer Verdienste willen. Das genügt.«
    Während sie so sprach, rollte sie ihre Strickerei zusammen und nahm die Rose aus dem Tuch, das sie sich um den Kopf gebunden hatte. Entweder ahnte Saint Antoine instinktartig die Beseitigung des anstößigen Schmuckes, oder er hatte dar
auf gelauert; kurz, der Heilige faßte bald nachher den Mut, wieder einzutreten, und die Weinstube erhielt abermals das gewohnte Aussehen.
    Abends, um die Zeit, da Saint Antoine vorzugsweise sein Inneres nach außen kehrte, indem er sich auf die Türstufen und Fenstersimse setzte oder um die Ecken der stinkenden Straßen und Sackgassen kam, um ein wenig frischere Luft zu suchen, konnte man Madame Defarge regelmäßig mit dem Strickzeug in der Hand von einer Stelle, von einer Gruppe zur andern gehen sehen als einen Missionar – ihresgleichen hat es schon viele gegeben –, wie ihn die Welt lieber nicht wieder erstehen lassen möge. Alle die Weiber strickten. Sie strickten unnütze Dinge, aber die

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