Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
die Huldigung der Herrscher über Schottland und Wales entgegennahm. Es war das bedeutendste politische Ereignis in England seit dem Abzug der Römer, und der Schatz enthält eine der Silbermünzen, die Athelstan fertigen ließ, um das zu feiern. Auf dieser Münze verlieh er sich selbst einen neuen Titel, den kein Herrscher vor ihm je gebraucht hatte:
Athelstan Rex totius Britanniae:
Athelstan, König über ganz Britannien. Hier wird die moderne Idee eines vereinten England geboren, auch wenn sie erst 800 Jahre später Realität wurde. Aber in gewisser Hinsicht ist Athelstan der Schöpfer Großbritanniens. Michael Wood erklärt dazu:
«Das Wunderbare an diesem Schatz ist, dass er genau den Zeitpunkt markiert, zu dem England Königreich und Staat wurde. Das frühe 10. Jahrhundert ist die Zeit, in der diese ‹nationalen Identitäten› zum ersten Mal ins Bewusstsein traten, und deshalb sahen alle späteren Könige der Engländer, ob Normannen, Plantagenets oder Tudors, Athelstan als den Gründer ihres Königreichs an. In gewisser Hinsicht könnte man also sagen, sie berufen sich auf diesen Wendepunkt im Jahre 927.»
Dennoch war das eine ziemlich chaotische Phase, und der Schatz zeigt, dass der Kampf zwischen Wikingern und Angelsachsen noch nicht vorüber war. Der Schatz muss einem reichen und mächtigen Wikinger gehört haben, der auch unter dem neuen angelsächsischen Regime in Yorkshire geblieben war, denn bei einigen der enthaltenen Münzen handelt es sich um jene 927 von Athelstan geprägten. Für unseren Wikinger muss also etwas schiefgelaufen sein, das ihn dazu brachte, seinen kostbaren Besitz zu vergraben – aber er tat dies so sorgfältig, als habe er vorgehabt zurückzukehren. Wurde er in den anhaltenden Scharmützeln zwischen Wikingern und Angelsachsen getötet? Ging er zurück nach Skandinavien oder Irland? Was immer dem Besitzer des Schatzes zustieß, die meisten Wikinger Englands blieben dort und assimilierten sich zu gegebener Zeit. Im Nordosten Englands zeugen heute noch Orte, deren Namen auf «by» und «thorpe» – wie Grimsby und Cleethorpes – enden, von der langen Präsenz der Wikinger. Der Depotfund von Harrogate erinnert uns daran, dass sich diese Orte zudem am Ende der riesigen Handelsroute befanden, die sich um 900 von Scunthorpe bis nach Samarkand erstreckte.
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Hedwigsbecher
Glas, vermutlich in Syrien hergestellt
1100–1200 n. Chr.
Vielen Leuten ruft der Name Hedwig, wenn er überhaupt eine Assoziation weckt, die eifrige Eule ins Gedächtnis, die Harry Potter mit Nachrichten beliefert. Aber für die Menschen aus Mitteleuropa, besonders aus Polen, hat Hedwig eine ganz andere Bedeutung: Sie ist eine königliche Heilige, die um 1200 zum nationalen und religiösen Symbol wurde und die die Menschen durch die Jahrhunderte hindurch nicht etwa mit Nachrichten, sondern mit Wundern belieferte. Das berühmteste unter all den Wundern Hedwigs war, dass sich das Wasser in ihrem Glas regelmäßig in Wein verwandelte, und es gibt in Mitteleuropa bis heute eine kleine rätselhafte Gruppe unverwechselbarer Glasbecher, bei denen es sich angeblich um genau jene Gläser handelt, aus denen sie die wundersame Flüssigkeit trank.
Einer von Hedwigs Bechern befindet sich heute im Britischen Museum. Er bringt uns in Berührung mit der großen Religionspolitik im Zeitalter der Kreuzzüge, der großen Ära von Richard Löwenherz und Saladin, und zugleich mit der überraschenden Tatsache, dass der Handel während des Krieges zwischen Christen und Muslimen einen Aufschwung erlebte. Jüngste Forschungen lassen uns nun annehmen, dass die Hedwigsbecher, in Mitteleuropa als Zeugnis eines christlichen Wunders verehrt, sehr wahrscheinlich von islamischen Glasarbeitern im Nahen und Mittleren Osten hergestellt wurden.
Hedwig war verheiratet mit Heinrich dem Bärtigen, Herzog von Schlesien – einem Gebiet, das im heutigen Polen liegt und über die deutschen und tschechischen Grenzen hinausreicht. Heinrich und Hedwig hatten sieben Kinder, darunter eines mit dem herrlichen Namen Konrad Kraushaar, aber schließlich,im Jahre 1209, legten sie – vielleicht nicht überraschend – ein Keuschheitsgelöbnis ab. Zu dieser Zeit verhielt sich die Herzogin schon deutlich wie eine Heilige; sie gründete ein Krankenhaus für aussätzige Frauen, und sie erwies den Nonnen in den umliegenden Klöstern auf geradezu verwirrende Weise ihre Ehrerbietung:
«Sie benutzte das Wasser, in dem die Nonnen ihre Füße gewaschen hatten, um ihre
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