Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
hauchdünn. Die meisten stammen aus angelsächsischen Gebieten, aber es sind auch einige in York geprägte Wikinger-Münzen darunter, ebenso wie exotische Importe aus Westeuropa und Zentralasien. Bei den Münzen befanden sich auch ein Goldarmreif und fünf Silberarmreife. Und außerdem einige Objekte, die von Archäologen als Hacksilber bezeichnet werden – zerkleinerte Teile von Broschen, Ringen und dünnen Silberbarren, meist nur einige Zentimeter lang, die den Wikingern als Zahlungsmittel dienten und die ganz sicher beweisen, dass es sich nicht um die Kostbarkeiten eines Angelsachsen, sondern um einen Wikingerschatz handelt.
Der Schatz versetzt uns an einen bedeutenden Wendepunkt der englischen Geschichte – als der angelsächsische König Athelstanendlich die wikingischen Eindringlinge besiegte und das Königreich England begründete. Vor allem aber legt uns dieser Fund die vielfältigen Beziehungen offen, von denen die Wikinger profitierten, während sie durch Nordengland zogen. Diese Skandinavier waren extrem gut vernetzt, wie der Historiker Michael Wood erklärt:
Münzen aus dem Schatz: (oben) Dirham. (Mitte) Münze mit dem Namen des Heiligen Petrus. (unten) Münze, die im Auftrag Athelstans geprägt wurde.
«Wir haben einen Wikinger-Armreif aus Irland, Münzen, die im fernen Samarkand, in Afghanistan und Bagdad geprägt wurden. Das lässt uns die weitreichenden Verbindungen der damaligen Zeit ahnen; diese Wikingerkönige, ihre Abgesandten und ihre Handelsrouten überzogen Westeuropa, Irland und Skandinavien. Wir finden Abrechnungen von wikingischen Sklavenhändlern an den Ufern des Kaspischen Meeres. Guli der Russe, so genannt wegen seines russischen Hutes, aber eigentlich von irischer Herkunft, trieb seinen Sklavenhandel am Kaspischen Meer und an den dortigen Handelsrouten, entlang der Flusswege hinunter bis zum Schwarzen Meer und in Städten wie Nowgorod und Kiew. Man versteht also, wie Münzen, die, sagen wir, 915 in Samarkand geprägt wurden, binnen sehr kurzer Zeit, während der 920er Jahre, in Yorkshire auftauchen konnten.»
Der Depotfund von Harrogate macht deutlich, dass das England der Wikinger wirklich transkontinental agierte. Wir haben einen Dirham aus Samarkand und andere islamische Münzen aus Zentralasien. Wie York war Kiew eine bedeutende Wikingerstadt, und Kaufleute aus dem Irak, Iran und aus Afghanistan vertrieben ihre Waren über Russland und das Baltikum in ganz Nordeuropa. Im Zuge dessen gelangten die Menschen in der Gegend von Kiew zu großem Reichtum. Ein arabischer Kaufmann der Zeit beschrieb, wie sie durch Handel angehäufte Gold- und Silbermünzen einschmolzen, um Halsbänder für ihre Frauen anzufertigen:
«Um ihren Hals trägt sie Gold- oder Silberreife; wenn ein Mann 10.000 Dirhams beisammen hat, dann macht er daraus einen Reif; wenn er 20.000 hat, dann macht er daraus zwei … und oft besitzt eine Frau viele dieser Reife.»
Und tatsächlich ist das Fragment eines solchen russischen Reifs Teil des Schatzes.
Doch auch wenn sowohl Kiew als auch York Wikingerstädte waren, hatten beide nur sehr selten direkten Kontakt. Normalerweise lagen auf der Handelsroute eine Reihe von Umschlagstationen, an denen Gewinne gemacht wurdenund wo sich Händler begegneten, die Gewürze, Silbermünzen und Juwelen in den Norden oder Bernstein und Pelze in die entgegengesetzte Richtung transportierten. Aber solche Handelsrouten begründeten auch den schlechten Ruf der Wikinger. In ganz Osteuropa raubten die Wikinger Menschen, um sie auf dem großen Markt von Kiew als Sklaven zu verkaufen – wodurch sich erklärt, warum in so vielen europäischen Sprachen die Worte «Sklave» und «Slawe» immer noch eng zusammenhängen.
Dieser Schatz erzählt uns auch eine Menge über das, was im fernen York geschah. Dort wurden die Wikinger zu Christen; aber wie so oft widerstrebte es den frisch Konvertierten, den Symbolen ihrer alten Religion abzuschwören. Die altnordischen Götter waren nicht ganz tot. Und so finden wir auf einer Münze, die um 920 in York geprägt wurde, das Schwert und den Namen des christlichen Heiligen Petrus, aber das Faszinierende ist, dass das «i» von Petri in Form eines Hammers, dem Attribut des nordischen Gottes Thor, gestaltet ist. Der neue Glaube bediente sich der Waffen des alten.
Wir können ziemlich sicher sein, dass dieser Schatz kurz nach 927 vergraben wurde. Das war das Jahr, in dem Athelstan, der König von Wessex, die Wikinger endgültig besiegte, York eroberte und
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