Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
der König von Ungarn, einige Zeit in der Stadt Akko verbrachte. Könnte er die Becher während seines Aufenthalts in Auftrag gegeben haben? Das würde erklären, warum sie später mit Hedwig, der Familienheiligen, in Verbindung gebracht wurden und wie sie nach Mitteleuropa gelangten. Das Fragment eines Hedwigsbechers wurde im königlichen Palast von Budapest gefunden, weshalb dies eine realistische Erklärung sein könnte. Das kann natürlich nur eine Vermutung bleiben, aber es ist eine verführerische Hypothese, und sie könnte genau die Lösung des seit langem bestehenden Rätsels um die Hedwigsbecher sein.
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Japanischer Bronzespiegel
Bronzespiegel, aus Japan
1100–1200 n. Chr.
Die meisten Menschen haben schon einmal die ein oder andere Münze als Glücksbringer oder zur Erfüllung eines Wunsches in einen Brunnen geworfen. In Rom werfen die Touristen jeden Tag Münzen im Wert von etwa 3000 Euro in den berühmten Trevibrunnen, um sicherzugehen, dass sie das Glück auf ihrer Seite haben und eines Tages wieder nach Rom zurückkehren werden. Seit Tausenden von Jahren haben Menschen wertvolle Dinge ins Wasser geworfen. Das ist ein außergewöhnlicher Drang, und es handelte sich nicht immer um Münzen, verbunden mit einem unbeschwerten Wunsch; in der Vergangenheit stellte diese Geste oft ein todernstes Flehen zu den Göttern dar. In den Flüssen und Seen Großbritanniens entdecken Archäologen regelmäßig Waffen, Juwelen und Edelmetalle, die den Göttern vor Jahrtausenden geopfert wurden. Im Britischen Museum haben wir Objekte aus der ganzen Welt, die einst feierlich oder freudig im Wasser versenkt wurden. Zu den faszinierendsten unter ihnen gehört ein Spiegel, der vor etwa 900 Jahren in Japan in ein Tempelbecken geworfen wurde.
In einer berühmten Geschichte Japans mit dem Titel
Der große Spiegel,
um 1100 verfasst, hat der Spiegel nicht nur eine Stimme, sondern auch die Kraft, Japan sich selbst erkennen zu lassen:
«Ich bin ein einfacher altmodischer Spiegel aus einem vergangenen Jahrhundert, gefertigt aus gutem Weißmetall, das klar bleibt, ohne dass man es putzen muss … Ich werde nun ernste Angelegenheiten vortragen. Passt alle gut auf. Ihr solltet bedenken, dass Ihr, während Ihr mir Eure Aufmerksamkeit schenkt, den Chroniken Japans lauscht …»
Der Spiegel aus dem Britischen Museum stammt ungefähr aus derselben Zeit, obwohl wir erst unlängst herausgefunden haben, woher er genau kommt und was diese neue Information uns über Japan 900 Jahre vor unserer Zeit sagt. Die Geschichte, die uns unser Spiegel nun erzählen kann, handelt von Liebenden und Dichtern, Hoffräulein und Göttinnen, Priestern und Kaisern.
Der Spiegel ist rund, ungefähr von der Größe eines Untertellers, und er liegt bequem in der Hand. Er besitzt keinen Griff, aber es wird ursprünglich eine Schlinge an ihm befestigt gewesen sein, so dass man ihn an einem Haken aufhängen konnte. Er ist nicht aus versilbertem Glas gemacht – die modernen, von hinten mit Silber beschichteten Spiegel, mit denen wir alle vertraut sind, wurden erst um das 16. Jahrhundert herum gebräuchlich. Frühe Spiegel wie dieser bronzene wurden alle aus Metall hergestellt, das aber so stark poliert war, dass man sein Gesicht darin sehen konnte.
Wie vieles andere in der japanischen Kultur, gelangten Spiegel zuerst von China nach Japan. Vor etwa 1000 Jahren trieben die Gesellschaften in Eurasien regen Handel und tauschten Ideen und Überzeugungen aus. Während des 8. und 9. Jahrhunderts hatte Japan an diesem Austausch, vor allem mit China, aktiv, teilgenommen. Aber durch seine Lage am Ende aller großen asiatischen Handelsstraßen und durch das Meer isoliert, war es Japan im Gegensatz zu fast jeder anderen Kultur möglich, sich von den untereinander verbundenen Ländern der übrigen Welt unabhängig zu machen. Von dieser Option machte Japan in seiner Geschichte mehrfach Gebrauch, am plakativsten jedoch im Jahr 894, als es jeden offiziellen Kontakt mit China abbrach und sich auch vom Rest der Welt abschnitt. Von äußeren Einflüssen oder dem Eingang von Handelswaren unbehelligt, besann sich Japan auf sich selbst, eine Entscheidung, die noch heute nachwirkt und eine ganz eigene Kultur hervorbrachte. Am Hof von Kyoto wurde jeder Aspekt des Lebens unentwegt verfeinert und ästhetisiert, um zu immer erleseneren Genüssen zu gelangen. In der Gesellschaft kam den Frauen eine entscheidende kulturelle Rolle zu. In diese Ära fiel auch der Beginn der in japanischer
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