Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
Vom Netzwerk:
verzierten Schlaufe, einem großzügigen Oval, während im Zentrum drei starke senkrechte Linien aufragen, durch die sich ein dekorierter, zur Rechten auslaufender Schweif schlängelt. Esist ein elegantes, sorgfältig ausgearbeitetes Monogramm, das vom Kopf eines offiziellen Dokumentes weggeschnitten wurde. Das gesamte Schriftbild buchstabiert den Namen des Sultans, für dessen Befehlsgewalt es steht. Die Worte lauten: «Suleiman, Sohn des Selim Khan, ewig siegreich.» Dieser einfache arabische Satz, gefasst in ein Emblem, das aus verschwenderisch üppigen Materialien gearbeitet ist, zeugt eindeutig von großem Wohlstand; so ist es nicht verwunderlich, dass dieser ewig siegreiche Sultan, Zeitgenosse von Heinrich VIII. und Karl V., dem Herrscher des Heiligen Römischen Reiches, später von den Europäern Suleiman der Prächtige genannt wurde.
    Suleiman trat das Erbe eines sich bereits ausdehnenden Reiches an, als er 1520 an die Macht kam. Mit beinahe unaufhaltsamer Energie fuhr er damit fort, seine Gebiete zu festigen und zu erweitern. Innerhalb weniger Jahre hatten seine Armeen das ungarische Königreich zerschmettert, die griechische Insel Rhodos eingenommen, Tunis gesichert und sich im Gefecht mit den Portugiesen die Kontrolle über das Rote Meer erkämpft. Italien stand nun an vorderster Front. Suleiman schien eine Neuordnung des Römischen Reiches unter muslimischer Herrschaft anzustreben – der Traum, den Glanz des alten römischen Imperiums wieder erstehen zu lassen, befeuerte gleichermaßen die Renaissance im west lichen Europa wie auch die größten Leistungen, die das Osmanische Reich hervorbrachte. Diese beiden verfeindeten Welten teilten denselben unmöglichen Traum. Als einmal ein venezianischer Botschafter der Hoffnung Ausdruck verlieh, eines Tages den Sultan als Gast in seiner Stadt begrüßen zu dürfen, antwortete Suleiman: «Selbstverständlich, aber erst nachdem ich Rom erobert habe.» Er eroberte Rom niemals, und dennoch gilt er heute als der größte aller osmanischen Herrscher.
    Die Romanschriftstellerin Elif Şafak schildert ihn aus türkischer Sicht:
    «Suleiman war für viele Menschen, besonders aber für die Türken ein unvergesslicher Sultan – er regierte 46 Jahre lang. Im Westen war er als Suleiman der Prächtige bekannt, aber wir kennen ihn als
Suleiman Kanuni
– Suleiman ‹der Gesetzgeber› – weil er das Rechtssystem veränderte. Wenn ich diese Signatur betrachte, dann verströmt sie Kraft, Ruhm, große Herrlichkeit. Suleiman richtete sein Streben darauf, den Osten und den Westen zu erobern, weshalb viele Historiker glauben, sein Vorbild sei Alexander der Große gewesen. Ich sehe diese Absicht, diese Kraft, die Welt zu erobern, ebenso in dieser Kalligraphie.»

    Wie gelingt es, ein Reich zu regieren, das so groß ist wie das Suleimans, und zugleich sicherzustellen, dass die zentrale Macht sich bis zur Peripherie hin durchsetzt? Dazu braucht man eine Bürokratie. Über das gesamte Reich verteilt müssen Verwalter demonstrieren, dass sie die Autorität des Herrschers innehaben, was durch ein sichtbares Zeichen geschieht, das mitgeführt und jedermann vor Augen gehalten werden kann. Dieses Zeichen ist die Tughra. Sie wirkte wie ein königliches Siegel oder ein Sheriffstern, der den Beamten des Reiches die Vollmacht des Herrschers verlieh. Die Tughra bekrönte alle wichtigen offiziellen Dokumente, und Suleiman brachte während seiner Regierung etwa 150.000 davon in Umlauf. Er war eifrig darum bemüht, diplomatische Beziehungen zu knüpfen, indem er einen hervorragenden Verwaltungsapparat schuf und neue Gesetze bekannt gab. All das erforderte staatliche Erlasse, Weisungen an Botschafter und Urkunden, an deren Anfang immer die Tughra stand.
    Die Tughra selbst nennt den Namen des Sultans, während die Zeile darunter lautet: «Dies ist das edle und erhabene Zeichen des Namens unseres Sultans, das verehrte Monogramm, das der Welt das Licht bringt. Möge diesem Befehl, mit der Hilfe des Allmächtigen und dem Schutz des Ewigen Kraft und Wirkung beschieden sein. Der Sultan befiehlt, dass …» An dieser Stelle wurde unser Papier abgeschnitten, aber das Dokument darunter hätte eine bestimmte Anweisung, ein Gesetz oder einen Befehl weiter ausgeführt. Interessanterweise stehen hier zwei Sprachen nebeneinander: Die Tughra nennt den Sultan auf Arabisch und erinnert uns so daran, dass Suleiman der Beschützer der Gläubigen mit einem Auftrag gegenüber der gesamten islamischen Welt ist; die

Weitere Kostenlose Bücher