Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Unwegsamkeiten hinweghilft und den Staat überlebensfähig macht. Bürokratie ist kein Beweis für Trägheit, wie wir in Kapitel 15 gesehen haben; sie kann lebensrettende Kontinuität bedeuten – und nirgends tritt das klarer zutage als in China. China ist der am längsten bestehende Staat der Welt, und es ist kein Zufall, dass es dort die älteste bürokratische Tradition gibt. Mein nächster Gegenstand ist ein Stück chinesischen Papiers, das wie die Tughra ein machtvolles Instrument des Staates ist: Papiergeld.
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Ming-Banknote
Papiergeld, aus China
1375–1425 n. Chr.
«Glaubt ihr an Feen? Sagt schnell, dass ihr daran glaubt. Klatscht in die Hände, wenn ihr ganz fest daran glaubt!»
Der berühmte Moment, in dem Peter Pan die Kinder bittet, Tinker Bell zu retten, indem sie ganz fest mit ihm an Feen glauben, ist immer ein Erfolg. Die Kunst, andere dazu zu bringen, dass sie an Dinge glauben, die sie nicht sehen können, von denen sie sich aber wünschen, dass sie wahr sind, hat im Laufe der Geschichte schon immer große Wirkung gezeigt. Nehmen wir zum Beispiel das Papiergeld: Irgendjemand hat in China vor Hunderten von Jahren einen Wert auf Papier gedruckt und dann von allen anderen verlangt, sie mögen ihm doch darin zustimmen, dass dieses Papier tatsächlich die Summe wert sei, die darauf vermerkt war. Die Papierscheine sollten also wie die Darling-Kinder «so gut wie Gold» sein oder vielmehr in diesem Fall so gut wie Kupfer – nämlich die Zahl der Kupfermünzen, die darauf abgedruckt waren. Unser gesamtes heutiges Banken- und Kreditwesen beruht auf diesem schlichten Akt des Glaubens. Papiergeld ist eine der wahrhaft revolutionären Erfindungen in der Geschichte der Menschheit.
Unser Objekt ist einer dieser frühen Geldscheine, die in China
fei qian
– «fliegendes Geld» – genannt wurden, und es stammt aus der Ming-Zeit um 1400. Der Gouverneur der Bank of England, Mervyn King, äußert sich folgendermaßen zu den Gründen für diese Erfindung:
«Der passende Aphorismus wäre vermutlich: ‹Geld ist die Wurzel allen Übels!› Die Menschen haben das Geld erfunden, um ihr Vertrauen zu anderen nicht auf den Prüfstein stellen zu müssen. Aber dann ergab sich die Frage: Kann ich der Person trauen, die das Geld ausgibt? Folglich übernahm der Staat die Rolle des Geldausteilers.Daraufhin stellte sich die Frage: Können wir dem Staat trauen? Und in vieler Hinsicht beinhaltet das die Frage, ob wir uns selbst in der Zukunft über den Weg trauen können.»
Fast überall in der Welt wurde bis zu diesem Zeitpunkt Geld in Form von Gold-, Silber- oder Kupfermünzen getauscht, das einen am Gewicht messbaren spezifischen Wert hatte. Doch die Chinesen erkannten, dass Papiergeld einen offensichtlichen Vorteil gegenüber Münzen hat: Es wiegt nicht viel, ist leicht zu transportieren und groß genug, dass man nicht nur seinen Wert, sondern auch die Befugnis der Regierung, die dahintersteht, und die Voraussetzungen, auf denen es beruht, aufdrucken kann.
Auf den ersten Blick sieht diese Banknote völlig anders aus als unser heutiges Papiergeld. Sie ist aus Papier, daran kann kein Zweifel bestehen, und sie ist größer als ein Din-A4-Blatt. Ihre Farbe ist ein weiches, samtiges Grau, und das Papier ist aus Maulbeerrinde, dem damals in China offiziell zugelassenen Material zur Herstellung von Papiergeld, gemacht. Die Fasern der Maulbeerrinde sind lang und biegsam, so dass der Schein auch nach 600 Jahren noch weich und griffig ist.
Das Papier ist, allerdings nur auf einer Seite, vollständig bedruckt, Holztafeldruck in schwarzer Tinte, der in Reihen und Spalten angeordnete chinesische Schriftzeichen und dekorative Elemente enthält. Sechs fett gedruckte Schriftzeichen am oberen Rand bescheinigen, dass es sich bei diesem Papier um «für den Umlauf gültiges Papiergeld der großen Ming-Dynastie» handelt. Darunter zieht sich ein Schmuckband mit Drachenbildern um das gesamte Blatt – Drachen natürlich deshalb, weil dieses Fabeltier zu den traditionellen Symbolen Chinas und der chinesischen Kaiser zählt. Ganz oben in dem Schmuckrahmen stehen zwei Spalten mit Text, von denen der eine noch einmal die Gültigkeit des Scheines durch das Schatzamt der Ming-Regierung zertifiziert, während es im anderen heißt: «Zum ewigen Umlauf bestimmt.»
Das sind große Worte. Wie lange kann ewig sein? Indem sie dieses Versprechen auf die Banknote druckte, wollte die Ming-Regierung offensichtlich darauf hinweisen, dass auch sie auf
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