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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Schlag eines
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ausweichen wollte, am Mineneingang abstürzte und in tausend Stücke zerschmettert wurde.»
    In der bitterkalten Höhenluft waren Lungenentzündungen an der Tagesordnung, und viele der Arbeiter, die am Abscheidungsprozess beteiligt waren, starben an Quecksilbervergiftung. Als die Sterberate in den Indiogemeinden um 1600 unaufhaltsam anstieg, wurden Zehntausende von afrikanischen Sklaven nach Potosí gebracht, die ihren Platz einnehmen sollten. Wohl waren sie zäher als die einheimische Bevölkerung, doch auch sie wurden in großer Zahl dahingerafft. Bis heute steht die Zwangsarbeit in den Silberminen von Potosí als historisches Symbol für die grausame Unterdrückung in den spanischen Kolonien.
    Beschämenderweise und zur Betroffenheit vieler Bolivianer ist die Arbeit in den Silberminen von Potosí auch heute noch schwer und ungesund. Der ehemalige Leiter des Potosí-Projekts der UNESCO, der Bolivianer Tuti Prado, weiß zu berichten:
    «Für die Einwohner von Potosí ist die Stadt einer der ärmsten Orte des Landes. Natürlich hat sich die Technik verändert, aber Armut und Krankheiten sind noch so schlimm wie vor 400 Jahren. Hier in den Minen arbeiten viele Kinder, und die Bergarbeiter werden oft nur 40 bis 45, manchmal sogar nur 35 Jahre alt, weil sie so viel Staub einatmen, dass sie an Silikose erkranken.»
    In den Minen von Potosí wurde der Rohstoff abgebaut, der Spanien reich machte, aber es waren die Münzstätten von Potosí, in denen mit dem Acht-Reales-Stück der Grundstein für eine Weltwährung gelegt wurde. In Potosí wurden die Münzen auf Lamas verladen und traten dann ihre zweimonatige Reise über die Anden nach Lima und an die Pazifikküste an. Von Peru aus wurden sie mit spanischen Schatzflotten nach Panama verfrachtet, zu Lande über den Isthmus von Panama geschafftund dann in Schiffsverbänden über den Atlantischen Ozean transportiert.
    Doch dieser Silberhandel blieb nicht auf Europa beschränkt – die spanischen Kolonialgebiete reichten bis nach Asien mit Verwaltungssitz in Manila auf den Philippinen, und bald überquerten Acht-Reales-Stücke den Pazifischen Ozean in rauen Mengen. In Manila wurden die Silbermünzen bei vorwiegend chinesischen Händlern gegen Seidenstoffe und Gewürze, Elfenbein, Lacke und vor allem Porzellan eingetauscht. Durch den Zustrom spanischer Silbermünzen wurde die Wirtschaft der ostasiatischen Staaten destabilisiert und Ming-China ins finanzielle Chaos gestürzt. Tatsächlich blieb kaum ein Winkel der Welt unberührt von den allgegenwärtigen Münzen.
    In der Münzensammlung des Britischen Museums gibt es einen Ausstellungskasten, der deutlich macht, welche Rolle die in den Münzstätten Spanisch-Amerikas geprägten Acht-Reales-Stücke rund um die Welt gespielt haben. Da gibt es beispielsweise eine Münze, die von einem indonesischen Sultan umgeprägt wurde oder solche Acht-Reales-Stücke, die von den Spaniern selbst zum Gebrauch in ihrer Provinz Brabant im heutigen Belgien verändert wurden. Anderen Münzen haben chinesische Kaufleute ihren Stempel aufgedrückt, und eine Münze aus Potosí wurde in der Nähe von Tobermory auf der Hebrideninsel Mull vor der Nordwestküste Schottlands entdeckt. Sie stammte von einem Schiff, das zur spanischen Armada gehörte und im Jahr 1588 Schiffbruch erlitten hat. Im 19. Jahrhundert gelangten Acht-Reales-Stücke sogar bis nach Australien. Als den britischen Behörden dort das Geld ausging, kauften sie diese Münzen, stanzten den Kopf des spanischen Königs heraus und drückten ihnen einen neuen Stempel mit dem Text FIVE SHILLINGS, NEW SOUTH WALES auf. Dass die Silbermünze zu acht Reales von den Hebriden bis Neusüdwales verbreitet war, macht deutlich, dass sie als Ware wie als Zahlungsmittel den Welthandel grundlegend veränderte, wie der Finanzhistoriker William Bernstein erklärt:
    «Dieses peruanische und mexikanische Silber war ein Geschenk des Himmels. Innerhalb kurzer Zeit waren Hundertmillionen oder gar Milliarden dieser Münzen geprägt, die bald zum Weltwährungssystem wurden. Sie waren die Master-Cards und American-Express-Karten des 16. bis 19. Jahrhunderts. Sie nahmeneine so beherrschende Stellung ein, dass, wenn man beispielsweise über den Teehandel im 18. und 19. Jahrhundert liest, die Preise in Dollar angegeben sind, mit Dollarzeichen; und natürlich sind das, wovon da die Rede ist, spanische Dollar – eben diese Acht-Reales-Stücke.»
    Als die britische Regierung in Australien plante,

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