Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
damit begannen, Wurzeln zu schlagen und Pflanzen anzubauen, die sie das ganze Jahr über ernährten. Diese Form der Landwirtschaft scheint an vielen verschiedenen Orten in etwa zur gleichen Zeit ihren Anfang genommen zu haben. Wie Archäologen herausgefunden haben, gehörte zu diesen Orten auch Papua-Neuguinea, die riesige Insel nördlich von Australien, von der dieser steinerne Stößel in Form eines Vogels stammt. Wir vermuten, dass er gut 8000 Jahre alt ist, und ein Stößel dürfte damals genauso benutzt worden sein wie heute – um Nahrungsmittel in einem Mörser zu zermahlen und zu zerstoßen, so dass man sie essen kann. Wir haben es hier mit einem großen, gut 35 Zentimeter hohen Exemplar zu tun. Die Wölbung am unteren Ende, mit der zerstoßen wird, ist etwa so groß wie ein Kricketball und vom vielen Gebrauch sichtlich abgenutzt. Der Schaft darüber ist ganz leicht zu greifen, doch der obere Teil dieses Griffs ist auf eine Weise gestaltet, die rein gar nichts mit der Zubereitung von Speisen zu tun hat – er sieht aus wie ein schlanker, länglicher Vogel mit ausgebreiteten Flügeln und einem langen, nach vorne gereckten Hals; man glaubt fast eine gewisse Ähnlichkeit mit der Concorde zu erkennen.
Es gehört zu den Gemeinplätzen aller Kulturen, dass gemeinsames Kochen und Essen unseren Zusammenhalt stärken, ob nun als Familie oder als Gemeinschaft. Alle Gesellschaften begehen Schlüsselereignisse mit einem Fest, und das Familiengefühl ist eng mit den Tassen und Schüsseln, den Tellern und den Holzlöffeln der Kindheit verbunden. Diese und ähnliche Assoziationen müssen sich schon in den ersten Anfängen des Kochens und der dazugehörigen Utensilien herausgebildet haben – also vor ungefähr 10.000 Jahren, der Zeit, aus der unser Stößel stammt.
Dieser Stößel ist nur einer von vielen, die man auf Papua-Neuguinea gefunden hat, zusammen mit zahlreichen Mörsern, was belegt, dass es damals eine Vielzahl an Bauern gab, die in den tropischen Regenwäldern und auf dem Grasland Ackerbau betrieben. Diese relativ junge Erkenntnis hat die bisher gängige Ansicht über den Haufen geworfen, wonach die Landwirtschaft im Nahen Osten ihren Anfang nahm, in der Region zwischen Syrien und dem Irak, die oftmals alsFruchtbarer Halbmond bezeichnet wird, und sich von dort über die ganze Welt ausbreitete. Wir wissen jetzt, dass dem nicht so war. Dieses besondere Kapitel der Menschheitsgeschichte wurde vielmehr gleichzeitig an verschiedenen Orten dieser Welt geschrieben. Überall dort, wo die Menschen Landwirtschaft zu betreiben begannen, konzentrierten sie sich auf einige wenige Pflanzensorten, die sie in der Wildnis ernteten, anpflanzten und kultivierten. Im Nahen Osten waren das spezifische Gräser – Frühformen des Weizens; in China trockener Wildreis; in Afrika Hirse; und in Papua-Neuguinea Taro, die stärkehaltige Wasserbrotwurzel.
Mich überrascht an diesen neuen Pflanzen am meisten, dass sie in ihrem natürlichen Zustand oft überhaupt nicht zum Verzehr geeignet sind oder wenn, dann sehr «erdig» schmecken. Warum also entschlossen sich die Menschen, Nahrungsmittel anzubauen, die man nur essen kann, wenn sie eingeweicht oder gekocht oder zermahlen sind? Für Martin Jones, Professor für Archäologie in Cambridge, stellt das eine wichtige Überlebensstrategie dar:
«Als wir Menschen uns über den Globus ausbreiteten, mussten wir mit anderen Tieren um die leicht zugänglichen Nahrungsmittel konkurrieren. Wo wir nicht konkurrenzfähig waren, mussten wir uns nach schwerer zugänglicher Nahrung umsehen. Wir konzentrierten uns auf Dinge wie die kleinen harten Grassamen, die wir als Getreide bezeichnen und die in rohem Zustand ungenießbar oder sogar giftig sind, so dass wir sie schälen und zu Brot oder Teig verarbeiten müssen. Und wir hielten uns an die giftigen Riesenknollengewächse wie die Jamswurzel oder Taro, die ebenfalls getrocknet, zermahlen und gekocht werden mussten, ehe sie genießbar waren. Dadurch erlangten wir einen Wettbewerbsvorteil – andere Lebewesen, die nicht über unsere Art von Gehirn verfügten, konnten nicht mehrere Schritte vorausdenken.»
Man braucht also Hirn, um aufs Kochen zu kommen und neue Nahrungsmittelquellen zu nutzen. Wir wissen nicht, welchen Geschlechts die Köche waren, die mit unserem Stößel in Neuguinea Taro zerrieben, aber aufgrund von archäologischen Grabungen im Nahen Osten können wir sagen, dass zumindest dort das Kochen in erster Linie Frauensache war. Bei der
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