Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Ihm Elemente wie Blei und Kupfer zu entziehen ist bis zu einem gewissen Grade gar nicht so schlecht; leider wurde zusammen mit dem Gold vor allem ein Metall zutage gefördert, nämlich Silber, und das hatte man bisher noch nicht abgeschieden. Silber ist ziemlich resistent gegenüber chemischen ‹Attacken›, Gold sogar sehr resistent. Die Lyder nahmen deshalb entweder sehr feinen Goldstaub direkt aus den Minen oder zerschlugen größere Stücke alten Goldes in ganz dünne Blättchen und taten diese zusammen mit ganz normalem Salz, also Natriumchlorid, in einen Topf. Dann erhitzten sie das Ganze in einem Ofen auf rund 800 Grad Celsius, und am Ende hatten sie ziemlich reines Gold.»
Die Lyder lernten also, wie man Münzen aus reinem Gold herstellt. Mindestens genau so wichtig war: Sie beauftragten Handwerker damit, Symbole aufzuprägen, die das Gewicht der Münzen und damit deren Wert angaben. Diese ersten Münzen weisen keine Schrift auf – Zahlen und Inschriften auf Münzen gab es erst viel später –, aber dank archäologischer Hinweise können wir unsere Münzen auf die Zeit um 550 v. Chr. datieren, also die Mitte von Krösus’ Regierungszeit.
Die Prägung, die auf seinen Münzen das Gewicht anzeigte, war ein Löwe. Je geringer die Größe und damit der Wert einer Münze war, desto kleiner waren die Körperteile des Löwen, die darauf zu sehen waren. So zeigt beispielsweise die kleinste Münze lediglich die Tatze eines Löwen. Mit dieser neuen Prägemethode der Lyder ging die Verantwortung dafür, Reinheit und Gewicht der Münzen zuüberprüfen, vom Geschäftsmann auf den Herrscher über – was die Stadt Sardes zu einem höchst attraktiven Ort für leichte, schnelle Geschäfte machte. Da die Menschen den Münzen des Krösus vertrauen konnten, fanden die Goldstücke weit über die Grenzen Lydiens hinaus Verwendung, was dem König eine ganz neue Form von Einfluss verschaffte: finanzielle Macht. Kernbestandteil jedes Münzwesens ist natürlich Vertrauen – man muss sich auf den amtlich festgestellten Wert der Münze und auf die damit verbundene Garantie verlassen können. Krösus schenkte der Welt die erste verlässliche Währung. Mit ihm beginnt der Goldstandard. Und die Folge war großer Reichtum.
Dank dieses Reichtums konnte Krösus den berühmten Artemis-Tempel in Ephesus erbauen – dessen zweite, wiederaufgebaute Version wurde zu einem der Sieben Weltwunder der Antike. Aber machte all sein Geld Krösus auch glücklich? Es heißt, er sei von einem weisen Staatsmann aus Athen gewarnt worden, dass kein Mensch, möge er auch noch so reich und mächtig sein, als glücklich gelten könne, ehe er nicht sein Ende kenne. Alles hänge davon ab, ob er glücklich sterbe.
Lydien war mächtig und wohlhabend, doch von Osten her war es durch die sich rasch ausbreitende Macht der Perser bedroht. Krösus reagierte auf diese Bedrohung, indem er beim Orakel von Delphi um Rat nachsuchte. Es verkündete ihm, in dem bevorstehenden Konflikt werde «ein großes Reich zerstört werden» – eine für das Orakel typische Aussage, die sich so oder so deuten ließ. Am Ende war es sein eigenes Reich, das lydische, das erobert wurde, und Krösus wurde von dem berühmten Perserkönig Kyros II. gefangen genommen. Doch sein Ende war nicht so übel. Kyros war so klug, Krösus zu seinem Berater zu machen – ich stelle mir vor, er wurde sein Berater in finanziellen Angelegenheiten –, und die siegreichen Perser übernahmen schon bald das lydische Modell: Sie brachten die Münzen entlang der Handelsrouten des Mittelmeerraums und Asiens unters Volk und fertigten dann an der Münzprägestätte des Krösus in Sardes ihre eigenen Münzen aus reinem Gold und reinem Silber. Das erinnert durchaus an die Art und Weise, wie die Kuschiten die ägyptische Kultur übernahmen, nachdem sie ihren nördlichen Nachbarn erobert hatten.
Es ist vermutlich kein Zufall, dass das Münzwesen so ziemlich zur gleichen Zeit in China und in Kleinasien erfunden wurde. In beiden Fällen war dies eine Reaktion auf die grundlegenden Veränderungen, welche die Welt vor gut3000 Jahren vom Mittelmeer bis zum Pazifik erlebte. Diese militärischen, politischen und ökonomischen Umwälzungen bescherten uns nicht nur das moderne Münzwesen, auch etwas anderes hallt bis zum heutigen Tage nach – neue Vorstellungen darüber, wie Menschen und ihre Herrscher sich selbst sahen. Kurz gesagt: In diese Zeit fällt der Beginn des modernen politischen Denkens, die Welt des
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