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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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drängt sich vielleicht nicht unbedingt auf als göttlicher Beschützer, aber er kümmerte sich um Kinder undum Menschen, die in Schwierigkeiten steckten, und er war auf langen Reisen durchaus als Schutzgott für den Streitwagen geeignet. Ich vermute, er ist so etwas wie das antike Pendant zum heutigen Heiligen Christophorus oder zu einem Talisman, der am Autorückspiegel baumelt.
    Warum aber beschützt ein ägyptischer Gott einen Perser an der Grenze zu Afghanistan? Das ist ein wunderbares Beispiel für die eindrucksvolle Fähigkeit des Perserreichs, verschiedene Religionen zu tolerieren und sie, wenn es sich anbot, sogar von den eroberten Völkern zu übernehmen. Dieses ungewöhnlich vereinnahmende Imperium verwendete zudem fröhlich fremde Sprachen für offizielle Verlautbarungen. Noch einmal sei Herodot zitiert:
    «Die Perser sind es, die am meisten von allen fremde Bräuche bei sich dulden. Sie halten die medische Kleidung für schöner als ihre eigene und tragen sie deshalb. Im Kriege legen sie den ägyptischen Brustpanzer an.»
    Da sich dieser multireligiöse, multikulturelle Ansatz, wie er in unserem Streitwagen zum Ausdruck kommt, mit gut organisierter militärischer Macht verband, erwuchs daraus ein flexibles Imperialsystem, das mehr als 200 Jahre Bestand hatte. Es versetzte den König in die Lage, seinen Untertanen das Bild eines toleranten, entgegenkommenden Imperiums zu präsentieren, ganz gleich, wie die harten Fakten aussahen. Als Kyros 539 v. Chr. Babylon (in der Nähe des heutigen Bagdad) angriff, konnte er deshalb ein großspurig generöses Dekret erlassen – auf Babylonisch –, in dem er sich als Verteidiger der Völker darstellte, die er soeben erobert hatte. Er ließ die kultische Verehrung verschiedener Götter wieder zu und erlaubte den Menschen, die von den Babyloniern gefangen genommen worden waren, in ihre Heimat zurückzukehren. In seinen eigenen Worten:
    «Meine umfangreichen Truppen marschierten friedlich durch Babel. Ich ließ in dem ganzen Lande Sumer und Akkad keinen Störenfried aufkommen. Die Stadt Babel und alle ihre Kultstätten hütete ich in Wohlergehen. Die Einwohner von Babel … ließ ich in ihrer Erschöpfung zur Ruhe kommen, ihre Fron ließ ich lösen.»
    Die berühmtesten Nutznießer von Kyros’ klugem politischen Vorgehen nach der Eroberung Babylons waren die Juden. Sie, die eine Generation zuvor von Nebukadnezarversklavt worden waren, durften nun nach Hause, nach Jerusalem, zurückkehren und ihren Tempel wiederaufbauen. Diesen großzügigen Akt sollten sie nie vergessen. In den Büchern des Alten Testaments wird Kyros als von Gott gesandter Wohltäter und Held gepriesen. Als die britische Regierung 1917 erklärte, sie wolle in Palästina eine nationale Heimstatt errichten, in welche die Juden wieder zurückkehren könnten, wurden überall in Osteuropa neben Fotos von König George V. auch Bilder von Kyros zur Schau gestellt. Es gibt nicht viele politische Einsätze, die noch 2500 Jahre später eine Dividende einbringen.
    Zum Verblüffendsten am Perserreich aber gehört, dass die Perser selbst nur sehr wenig darüber schrieben, wie sie ihr Reich verwalteten. Die meisten Informationen stammen aus griechischen Quellen. Da die Griechen lange Zeit die Hauptfeinde der Perser waren, ist das in etwa so, als wüssten wir über die Geschichte des British Empire nur dank Dokumenten Bescheid, die von Franzosen verfasst wurden. Doch die moderne Archäologie hat neue Informationsquellen erschlossen, und in den letzten fünfzig Jahren haben die Iraner selbst damit begonnen, ihre große imperiale Vergangenheit wiederzuentdecken und sie sich wieder anzueignen. Das spürt jeder Besucher in Iran heute sofort. Michael Axworthy erklärt dazu:
    «In Iran herrscht ein großer und unbedingter Stolz auf die Vergangenheit … Wir haben es mit einer Kultur zu tun, die sich in der Komplexität wohlfühlt, die mit der Komplexität verschiedener Ethnien, verschiedener Religionen, verschiedener Sprachen konfrontiert war und die Mittel und Wege gefunden hat, sie alle zu integrieren, in Beziehung zueinander zu setzen und zu organisieren. Nicht zwangsläufig locker oder auf relativierende Weise, sondern auf grundsätzliche Art, welche die Dinge zusammenhält. Und die Iraner wollen unbedingt, dass die Leute begreifen, dass sie diese lange, lange, lange Geschichte haben und dieses antike Erbe besitzen.»
    Axworthys Begriff von den «Imperien des Geistes» bringt sehr schön das Thema auf den Punkt, um

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