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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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nicht dagewesenen Dimensionen; das Perserreich ist denn auch das erste große «Straßenimperium» der Geschichte.
    Das Perserreich war eher eine Ansammlung von Königreichen als das, was wir üblicherweise als Imperium betrachten. Kyros nannte sich selbst Schah-an-Schah, König der Könige, und machte damit deutlich, dass es sich um eine Konföderation verbündeter Staaten handelte, die jeweils ihren eigenen Herrscher hatten, aber alle strenger persischer Kontrolle unterstanden. Dieses Modell erlaubte ein hohes Maß an lokaler Autonomie und große Vielfalt – ganz anders als das spätere römische Modell. Der Historiker und Schriftsteller Tom Holland erläutert die Unterschiede:
    «Die Besatzung durch die Perser lässt sich mit einem leichten Morgennebel vergleichen, der sich über die Konturen ihres Reiches legte – man nahm ihn wahr, aber er störte nie wirklich. Den Römern war daran gelegen, dass diejenigen, die sie erobert hatten, sich mit ihren Eroberern identifizierten, dass sich also letztlichjeder innerhalb der Grenzen des Römischen Reiches als Römer betrachtete. Die Perser wählten einen ganz anderen Ansatz. Solange man Steuern zahlte und nicht aufbegehrte, ließen sie einen weitgehend in Ruhe. Trotzdem erobert man ein solches Riesenreich nicht ohne beträchtliches Blutvergießen, und es stand außer Frage: Wer es wagte, sich gegen die Perserkönige zu erheben, der wurde ausgelöscht.»
    Aufrührerische Völker wurden vernichtet, indem die Perserkönige auf diesen wunderbar geraden und schnell zu bewältigenden Straßen ihre Truppen aussandten. Doch innerhalb des Reiches vermied man im Allgemeinen Blutvergießen, und zwar dank einer riesigen – und hoch effektiven – Verwaltungsmaschinerie. Der König der Könige kontrollierte letztlich alles, doch auf lokaler Ebene wurde er von einem Gouverneur vertreten – einem Satrapen –, der ein scharfes Auge darauf hatte, was in den untergeordneten Königreichen vor sich ging. Er sorgte für Recht und Ordnung, trieb die Steuern ein und hob Truppen aus.
    Grabmal von Kyros dem Großen, Perserkönig.
    Das bringt uns zurück zu unserem goldenen Spielzeug, denn der Passagier in diesem Streitwagen muss ein Satrap auf Reisen sein. Er trägt einen modisch gemusterten Mantel zur Schau – für den er offenbar eine Menge Geld ausgegeben hat –, und sein Kopfschmuck lässt keinen Zweifel daran, dass dieser Mann es gewohnt ist, Verantwortung zu tragen. Sein Streitwagen ist für lange Reisen ausgelegt: die mit langen Speichen versehenen Räder sind so groß wie die Pferde und eindeutig für große Entfernungen gedacht.
    Aus seinem Verkehrssystem lässt sich viel über einen Staat erfahren, und unser Streitwagen verrät uns eine Menge über das persische Weltreich. Die öffentliche Ordnung war soweit garantiert, dass Menschen ohne bewaffnete Begleitung lange Strecken zurücklegen konnten. Und sie konnten in hohem Tempo reisen. Mit seinen besonders starken und schnellen Pferden und den großen Stützrädern war dieser Streitwagen der Ferrari oder Porsche seiner Zeit. Breite Schotterpisten waren bei jedem Wetter befahrbar, und es gab zahlreiche Zwischenstationen. Dank eines absolut zuverlässigen Postdienstes, der aus Reitern, Läufern und Expressboten bestand, konnten Befehle aus dem Zentrum des Reiches rasch ins gesamte Reichsgebiet übermittelt werden. Ausländische Besucher waren tief beeindruckt, unter ihnen auch der griechische Historiker Herodot:
    «Es gibt nichts Schnelleres auf der Welt als diese persischen Boten … Sie sagen, so viele Tagereisen der ganze Weg beträgt, so viele Pferde und Männer sind verteilt bereitgestellt; auf jede Tagesstrecke rechnet man immer einen Reiter und ein Pferd. Weder Schnee noch Regen noch Hitze noch Nacht hält sie ab, die vorgeschriebene Entfernung so schnell wie möglich zurückzulegen.»
    Doch unser Streitwagen erzählt nicht nur vom Reisen und von den Kommunikationsformen; er steht auch für die Akzeptanz von Vielfalt, die den Kern des imperialen Systems der Perser bildete. Zwar hat man ihn an der östlichen Reichsgrenze nahe Afghanistan gefunden, doch die Metallverarbeitungstechnik lässt darauf schließen, dass er in Zentralpersien angefertigt wurde. Der Lenker und sein Passagier tragen die Kleidung der Meder, eines antiken Volkes, das im Nordwesten des heutigen Iran lebte, während vorne auf dem Streitwagen, prominent zur Schau gestellt, der Kopf des ägyptischen Gottes Bes zu sehen ist. Dieser Bes, ein Zwerg mit O-Beinen,

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