Eine Geschichte von Liebe und Feuer
aussah?«, fragte Olga. »Sie war völlig überwältigt.«
»Na ja, die beiden sind schlieÃlich in derselben StraÃe aufgewachsen. Er ist wie ein Bruder für sie.«
»Sie liebt Dimitri, Pavlina«, sagte Olga. »Das ist mir erst heute klar geworden.«
Ganz entgegen ihrer Gewohnheiten erwiderte Pavlina darauf nichts. Das war auch nicht nötig.
Soweit es Gourgouris anging, hatte Katerinas Unpünktlichkeit nur bewiesen, dass sie nicht in der Lage war, im Atelier zu arbeiten und gleichzeitig den Haushalt zu führen.
»Es war von vornherein keine gute Idee, wieder mit dem Nähen anzufangen«, verkündete er am folgenden Abend. »Zumindest nicht auÃerhalb des Hauses. Hier gibtâs genug für dich zu tun.«
Katerina nickte. Es war sinnlos zu widersprechen. Sie schöpfte Suppe in den Teller ihres Mannes und rührte einen Löffel Sahne hinein. Solange er aÃ, fiel ihm nicht auf, wie einsilbig sie war und dass sie zwischen den Gängen immer längere Zeit in der Küche blieb.
Tagsüber, wenn sie nicht einkaufte und die opulenten Mahlzeiten zubereitete, die ihr Gatte verlangte, suchte sie Ablenkung bei ihrer Handarbeit.
Gelegentlich besuchte sie Eugenia, war aber immer peinlich darauf bedacht, rechtzeitig nach Hause zu kommen, um das Abendessen zu kochen. Auf dem Heimweg ging sie immer in die Kirche von Agios Nikolaos Orfanos, um für die Morenos eine Kerze anzuzünden.
Beten konnte sie nicht. Wann immer sie Gott anflehte, sie aus ihrem Elend zu erlösen, sah sie das Bild des toten Gourgouris vor sich. Bilder aus den Todeslagern in Polen schwirrten ihr durch den Kopf, wenn sie die Augen schloss, und die Gewissheit, dass ihr Mann für die Deportation vieler Menschen verantwortlich war, lieà Rachegelüste in ihr aufkommen.
Jemandem den Tod zu wünschen war gleichbedeutend mit Mord, und weil sich dieser Wunsch bei jedem Gebet einstellte, hatte sie das Gefühl, sie hätte ein Verbrechen begangen. Gott um Vergebung zu bitten, wenn sie im gleichen Moment sündigte, schien also völlig sinnlos zu sein.
Dann eilte sie nach Hause und machte sich pflichtschuldig an die Vorbereitung des Abendessens. Jeden Tag wurden ihre Mahlzeiten ein wenig raffinierter, und all die Kunstfertigkeit, die sie früher auf ihre Näharbeit verwendet hatte, konzentrierte sie jetzt aufs Kochen. Ihr Mann sollte keinen Grund zum Tadel haben.
2 7
K aterina war nicht die einzige Frau, die sich verstellen musste, um sich zu schützen. Olga Komninou ging es nicht anders. Allerdings hatte sie in den vergangenen Jahrzehnten auch viel Ãbung gehabt. Seit ihren Tagen als Mannequin, als sie â je nach Modestil â sittsam, hochmütig, verschämt oder majestätisch auftreten musste, war sie stets in eine vorgegebene Rolle geschlüpft. Und seit ihrer Rückkehr in die NikistraÃe hatte sie eine weitere Rolle annehmen müssen â die der perfekten Gastgeberin.
Falls ihr Mann jemals herausfand, dass Dimitri zurückgekehrt war und ihr von dem grausamen Brief seines Vaters berichtet hatte, wären sie beide ihres Lebens nicht mehr sicher. Sie traute ihrem Ehemann durchaus zu, dass er seinen Sohn aufspürte, und was er ihr in seinem Zorn antun könnte, wagte sie sich kaum vorzustellen. Olga hatte also allen Grund, sich so zu verhalten, als wäre nichts geschehen.
Inzwischen war eine angemessene Trauerphase um den »Tod« des Sohnes verstrichen, und Konstantinos Komninos entschied, dass es nun wieder an der Zeit sei, Gäste einzuladen. Zudem wollte er demonstrieren, dass sich trotz des Aufruhrs im Rest des Landes bei ihm alles ganz vorzüglich entwickelte. Die Regierungstruppen hatten in den letzten Monaten gegenüber den Kommunisten an Boden gewonnen, und allein das war nach Konstantinosâ Meinung schon Grund genug zum Feiern.
»Ich habe Grigoris Gourgouris und seine Frau eingeladen«, erklärte er eines Tages.
Arme Katerina, dachte Olga. Ihr graute sicher davor.
Olga fragte sich auch, ob es der jungen Frau vielleicht unangenehm war, in einem Haus Gast zu sein, das sie bisher als ihre Schneiderin betreten hatte. Sie erinnerte sich an ihr eigenes Unbehagen, als sie vom Mannequin in die Rolle der Hausherrin schlüpfen musste. Andererseits standen so viele debattierfreudige und besserwisserische Leute auf der Gästeliste, dass Katerinas Schüchternheit nicht sonderlich auffiele.
Als nun am Samstagabend
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