Eine glückliche Ehe
sich Wegener nannte, würde von der Bühne verschwinden. War das ein so großer Verlust?! Ist ein einzelner Mensch so wertvoll? Alles ist ersetzbar, auch ein Hellmuth Wegener.
Warten wir es ab, dachte er. Es waren zwanzig schöne Jahre. Nur wenigen schenkt das Schicksal so viel Glück. Man sollte dankbar sein und jetzt, wenn es sein muß, dafür zahlen!
Feiertage sind etwas Schreckliches für den, der gefeiert wird, sofern es sich um Anerkennungen handelt, die mit dem Alter zusammenhängen. So sah es Dr. Schwangler.
Im Jahre 1969 trafen gleich zwei Ereignisse zusammen: Wegeners Silberhochzeit und sein fünfzigster Geburtstag.
»Daraus machen wir ein Volksfest!« sagte Schwangler. »Wir legen die Tage zusammen, sie sind ja sowieso beide im Mai – und hauen einmal auf die Pauke! Junge, Hellmuth, auf welch ein Leben kannst du zurückblicken! Nach fünfundzwanzig Jahren eine Frau, die dir heute noch jeder entführen würde – mit fünfzig ein Kerl, den die halbe Welt ob seiner Erfolge beneidet: diese Lebensbilanz solltest du einmal vor dir hertragen wie eine Fahne. Ich weiß, das ist nicht dein Stil, aber für diese beiden Tage bist du entmündigt. Das arrangiere ich!«
Es wurde ein großartiges Fest. Man errichtete ein riesiges Zelt im Park der Villa Fedeltà, erbaute ringsum einen Jahrmarkt, auf dem sich Karussells drehten und Schießbuden standen, und das Glanzstück war ein Riesenrad, das sich in den wolkenlosen, sonnigen Maihimmel erhob. Den Abschluß sollte ein Feuerwerk bilden, die Nachbarn waren verständigt oder eingeladen, Polizei und Ordnungsamt hatten die Genehmigung erteilt, Presse, Rundfunk und Fernsehen waren zu Gast … und inmitten dieses Trubels stand Wegener an Irmis Seite, breit und kräftig, lächelte in die Kameras, sprach stereotype Sätze, drückte Hunderte von Händen, absolvierte den Ehrenwalzer im Zelt und dachte zum erstenmal in seinem Leben an Mord.
Dr. Velbert war erschienen. Korrekt im weißen Smoking, erstaunlich gut aussehend, an seiner Seite eine langmähnige Blonde, die immerzu lächelte, nur französisch sprach, ein verwegen ausgeschnittenes Kleid trug und gegen 23 Uhr bereits betrunken war. Man legte sie in Wegeners Haus in ein Gästezimmer; Dr. Velbert schloß es ab und steckte den Schlüssel ein. »Damit mir keiner die Kleine aufknackt!« sagte er fröhlich. »Das Biest ist scharf wie Negerpfeffer.«
Er war allein mit Wegener, sie setzten sich in zwei Sessel und starrten sich an.
»Nun, was ist?« fragte Dr. Velbert. »Soll ich im Zelt einen Tusch blasen lassen und verkünden, wer Hellmuth Wegener ist?«
»Bitte!«
»Das gäbe ein Feuerwerk vor dem Feuerwerk!«
»Mir ist's egal!« sagte Wegener. Aber er dachte: Jetzt sollte man ihn umbringen! Zum erstenmal in meinem Leben denke ich daran. Töte! Töte! Mit den eigenen Händen! Erwürge diesen Saukerl und wirf ihn aus dem Fenster! Man kann später sagen: Ein Unfall! Dr. Velbert war sturzbesoffen!
Aber er tat es nicht. Er blieb sitzen und sah Dr. Velbert ruhig an.
»Na los!« sagte er sogar. Velbert griff in die Smokingjacke und holte ein Foto hervor. Ein uraltes, zerknittertes Bild.
»Das habe ich noch gefunden«, sagte er und reichte es Wegener hin. »Ein Foto aus dem Stammlager in Posen. Da bist du, Peter Hasslick, neben dir Hellmuth Wegener, damals Unteroffizier, dahinter ich als Gefreiter. Die anderen interessieren nicht. Na, ist das ein gutes Foto? Die Männer von der Propaganda-Kompanie konnten knipsen! Was ist es dir wert: Foto und das Negativ des Repros. Beides liegt in einem Banksafe in Cannes.«
»300.000 DM! Zum letztenmal!«
»Hui! Das ist ein Wort! Wann?« Dr. Velbert steckte das Foto wieder ein.
»In zehn Tagen. Ich komme nach Cannes und hole das Negativ ab.«
»Es gibt doch noch Kameraden!« sagte Dr. Velbert süßlich und klatschte in die Hände. »Ich sage es immer und zu jedem: Der Krieg war unser großes Erlebnis!«
Wegener ließ ihn einfach sitzen und ging zurück zu seinen Gästen. Man tanzte unter Führung von Dr. Schwangler und Irmi eine Polonäse durch den Park.
Irgend jemand hat den Zufall eine Hure des Schicksals genannt.
Hellmuth Wegener fand das bestätigt.
Fünf Tage nach dem Doppelfest überreichte Dr. Schwangler ihm ein Telegramm aus Cannes. Es war diesmal nicht als ›persönlich‹ deklariert, sondern hatte den Firmenlauf genommen, das heißt: über Schwangler. Es stammte von einer Mademoiselle Sylvie Charreau und berichtete in französischer Sprache, daß Dr. Velbert bei einer
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