Eine glückliche Ehe
gelesen hättest, du hättest es nie erfahren. Vergiß! Vergiß! – Dieser bestialische Gedanke lähmte ihn vier Tage lang, bis er ihn zertrümmert hatte.
In der Mittagszeit, als er sicher war, nicht gestört zu werden, rief er vom Büro aus im Altersheim in Lübeck an. Er wurde mit der Verwaltung verbunden, wo eine Frauenstimme – man hörte ihr an, daß die Dame beim Sprechen an irgend etwas kaute – ihm bestätigte, daß in der Kartei eine Berta Hasslick aufgeführt sei. »Sie wohnt in Block V, Zimmer vierunddreißig«, sagte die Stimme. »Sind Sie ein Verwandter?«
»Nein! Aber ich kannte ihren Sohn. Ich möchte ihr etwas schicken.«
»Das kann sie gebrauchen«, sagte die kauende Dame. Sie schien von der Karteikarte abzulesen: »Frau Hasslick ist von der Fürsorge eingewiesen worden. Keine Verwandten mehr, nichts. Mit zweiundachtzig Jahren …«
»Ja, sie muß jetzt zweiundachtzig sein …«, sagte Wegener heiser. »Wie wohnt sie?«
»Bei dem Pflegesatz, den die Fürsorge zahlt …«
»Ich verstehe. Danke.«
Wegener ließ das Telefon auf die Gabel fallen. Die Fürsorge. Ein Armenzimmer. Meine Mutter …
Er legte das Gesicht in beide Hände und weinte wieder.
Am nächsten Tag fuhr er zu geschäftlichen Besprechungen nach Hamburg. Um es offiziell zu machen, ließ er sich von dem großen Chefwagen mit Chauffeur abholen, und Irmi, an plötzliche Abreisen seit Jahren gewöhnt, hatte keinen Anlaß zum Nachdenken. Um so mehr dachte Dr. Schwangler nach. »Er hat in Hamburg überhaupt nichts zu suchen«, sagte er zu René Seifenhaar, der zufällig von Rom herübergekommen war und so enge weiße Hosen trug, daß man ihm auf der Straße nachpfiff, was ihn überhaupt nicht berührte. »Weißt du irgend etwas in Hamburg, das ihn dort hinziehen könnte?«
»Nein!«
»Überleg, du heißer Ofen!«
»Vielleicht die Reeperbahn?« sagte René Seifenhaar, nun doch getroffen. Er sah Dr. Schwangler böse-hochmütig an.
»Aber doch Wegener nicht!« rief Schwangler. »Der klemmt sich nicht in einen Sexschuppen und starrt rotierende Hintern an! Da muß etwas anderes sein!«
»Wir werden es vom Chauffeur erfahren.«
»Hinterher! Da kann es schon zu spät sein! Wegener ist seit fünf Tagen wie auf den Hinterkopf geschlagen! Und jetzt diese plötzliche, völlig sinnlose Fahrt nach Hamburg! René, ich habe da ein Gespür, ich bin mit Wegener durch Dutzende von kritischen Situationen marschiert: Da braut sich was Unbekanntes zusammen, etwas Gefährliches! – Ich hätte hinterherfahren sollen!«
Da dies nicht mehr möglich war, kam Dr. Schwangler um den Genuß einer Überraschung.
Wegener fuhr tatsächlich nach Hamburg, aber er ließ sich vor dem Hauptbahnhof absetzen. »Sie bleiben hier«, sagte er zu seinem Chauffeur. Er hieß Emil Zyllik, fuhr meistens Dr. Schwangler und hatte es längst aufgegeben, sich über seine Chefs zu wundern. »Holen Sie mich morgen abend im Hotel Atlantic ab. Und rufen Sie meine Frau an, daß wir gut in Hamburg angekommen sind. Halt! Nein! Das tue ich! Sie können jetzt zum Hotel fahren, Emil.«
Emil Zyllik sagte sein »Jawoll, Herr Wegener!«, stieg in den Wagen und fuhr davon. Wegener wartete vor dem Bahnhof, bis er Zyllik aus den Augen verloren hatte, ging dann zum Bahnpostamt und rief bei sich zu Hause an. Vanessa Nina war am Telefon.
»Wo ist die Mami?« fragte Wegener.
»Beim Friseur.«
»Sag ihr, ich bin in Hamburg gut gelandet. Ich rufe später noch einmal an.«
»Ist okay, Papi!«
Der zweite Anruf galt dem Hotel. Dort war er bekannt, und der Chefportier teilte ihm mit, daß gerade der Chauffeur angekommen sei. Außerdem habe Dr. Schwangler angerufen, er habe Herrn Wegener sprechen wollen.
Aha, dachte Wegener ein wenig spöttisch, weil es ihm gelungen war, selbst Schwangler zu täuschen. Er hat etwas gewittert und weiß nun nicht, woher der Geruch weht. Daß in Hamburg wirklich mein Zimmer bestellt ist, muß ihn ratlos machen.
»Wenn Herr Dr. Schwangler noch einmal anruft, bestellen Sie ihm bitte, ich sei außer Haus und auf der Konferenz. Er weiß dann Bescheid. Und das sagen Sie jedem Anrufer: Ich bin außer Haus.«
»Wie Sie wünschen, Herr Wegener.«
Das Alibi stimmt, dachte Wegener zufrieden. Und morgen bin ich wieder für jeden erreichbar. Für Schwangler wird das ein absolutes Rätsel sein.
Er verließ das Bahnpostamt, ging zum Fahrkartenschalter und kaufte sich eine Rückfahrkarte I. Klasse nach Lübeck. Der Zug fuhr in zwanzig Minuten. Er hatte Zeit genug, im
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