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Eine glückliche Ehe

Eine glückliche Ehe

Titel: Eine glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bootsfahrt vor der Côte d'Azur über Bord gefallen war und – es sei ein stürmischer Tag gewesen – nicht mehr gerettet werden konnte. Seine Leiche war später zwischen den Klippen gefunden worden. Er war also einwandfrei tot.
    »Was hast du damit zu tun?« fragte Dr. Schwangler. »Besteht denn die Verbindung immer noch?!«
    »Es war ein Kriegskamerad«, sagte Wegener nachdenklich. Diese plötzliche Befreiung belastete ihn merkwürdigerweise, dieses Glück wurde ihm unheimlich. Er hatte gesehen, wie dünn die Mauer war, die er zwischen sich und die Vergangenheit gezogen hatte. Ein Mensch, ein Foto, eine Narbe, eine andere Schrift – und schon fiel alles in sich zusammen. Was gab es noch im Hintergrund? Bisher hatte er alles überstanden, jetzt kam sogar der Zufall zu Hilfe. Aber irgendwo lauerte in der Vergangenheit noch eine Gefahr, der er dann hilflos ausgeliefert sein würde. Er spürte das, wie er einen kommenden Regen in seiner Oberschenkelnarbe spürte.
    »Er war ein versoffenes Schwein!« sagte Dr. Schwangler.
    »Er hatte kein Glück, das war alles.« Wegener legte das Telegramm in den Ablagekorb. »Veranlasse bitte, daß man Dr. Velbert anständig begräbt und daß diese Sylvie Charreau das nächste Jahr sorgenfrei leben kann.«
    »Wie du willst!« Dr. Schwangler hob die Schultern. »Wie stark war deine Kompanie?«
    »Hundertdreiundvierzig Mann.«
    »Wenn du nach diesem Muster hundertdreiundvierzig Familien ernähren willst …«
    »Es sind nur noch sieben übriggeblieben!« sagte Wegener. »Und von diesen war Velbert vielleicht der vorletzte. Ich könnte der letzte sein.«
    »Hoffentlich!«
    »Ja. Hoffentlich.«
    Später saß er allein in seinem riesigen Chefzimmer und las noch einmal alle Gratulationen durch. Man hatte ihn überhäuft mit Titeln und Ehrungen. Am meisten freute ihn der Dr. med. h.c.; der würde ihm noch feierlich zugesprochen werden. Auch in das Präsidium des Deutschen Roten Kreuzes hatte man ihn ehrenhalber berufen, und vertraulich hatte man ihm mitgeteilt, daß er das Große Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten werde.
    Vor ihm lag auch die Jahresliste des Deutschen Roten Kreuzes, in der noch immer Angehörige ihre vermißten Söhne oder Männer suchten. Bilder, Bilder, Namen, Namen. Er überflog die langen Listen, mehr aus Neugier, und stutzte plötzlich. Und dann verkrampfte sich sein Herz.
    Es war nur eine einzige dünne Zeile in der langen Liste.
    ›Ihren Sohn Peter sucht Berta Hasslick, Lübeck, Kesselstraße 15 (Altersheim).‹
    Wegener lehnte sich zurück und stützte den Kopf gegen die lederne Sessellehne. Dann schloß er die Augen und faltete die Hände vor dem Mund.
    Sie lebt. Sie ist nicht unter die Bomben gekommen, die über Osnabrück regneten. Sie lebt – und ich habe es dreiundzwanzig Jahre lang nicht gewußt. Ich wußte nichts anderes, als daß sie in einem Keller erstickt war, begraben unter den Trümmern des Hauses.
    Mutter lebt! Meine Mutter lebt! Mutter …
    Und plötzlich, als brächen seine Augen auf, begann er zu weinen.

10
    Vier Tage schleppte er es mit sich herum, vier fürchterliche Tage, in denen er ›ungenießbar‹ war, wie Irmi es nannte. Sogar Dr. Schwangler ging ihm aus dem Weg. »Das haben wir davon, daß er so abgenommen hat!« meinte Schwangler zu Irmi. »Früher war er der gemütliche Dicke, jetzt ist er der nervöse Vollschlanke! Wenn das so weitergeht, verführe ich ihn zum Fressen, bis er wieder seinen Bauch hat!«
    »Bloß das nicht!« sagte Irmi. Sie ging mit Schwangler durch den Park der Villa Fedeltà, riß ab und zu einen Zweig ab, der über dem Weg mit den weißen Kieselsteinen hing. Auch sie ist nervös, dachte Schwangler. Aber sie überspielt es. Sie sind nun fünfundzwanzig Jahre miteinander verheiratet, sie haben ein Leben aufgebaut, das beispielhaft dafür ist, was Fleiß, Sachverstand – und die Liebe des Partners aus einem Menschen machen können. Jeder kennt den anderen bis in die letzte Faser, wie man so sagt, und doch gibt es plötzlich Augenblicke, wo er betroffen feststellen muß, daß der Geliebte fremd und unerreichbar ist. Man kann das nicht erklären, man spürt es bloß … aber es ist nicht zu überspielen. Und in diesen Tagen war es wieder so: Hellmuth Wegener wirkte irgendwie fremd. Er sprach kaum, saß im Kreise seiner Familie herum, starrte auf das Fernsehbild, gab knurrige Antworten, hockte in seinem riesigen Büro auf der Chefetage der Euromedica-Werke vor dem Telefon und starrte es an, als wollte er es

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