Eine glückliche Ehe
Mann im weißen Kittel. »Morgen haben wir die schönste Verstopfung.«
»Der Herr Chefarzt!« Berta Hasslick lächelte ihn fast ehrfürchtig an. »Sehen Sie nur, ich habe Besuch! Ein Herr vom Roten Kreuz, der meinen Sohn Peter noch gekannt hat. Sie waren zusammen an der Front. Herr Dr. h.c. Wegener … ist es so richtig?«
Sie sah ihren Sohn an. Wegener nickte und schluckte. »Wegener«, wiederholte er steif.
»Methusius.« Der Chefarzt gab Wegener die Hand. »Schwester Else berichtete mir von dem epochalen Ereignis. Frau Hasslick hat Besuch! Und dann noch so einen! Ein Kriegskamerad …«
»Mein Sohn Peter ist tot …«, sagte Berta Hasslick leise. »Gefallen. Ich – ich weiß es jetzt …«
Dr. Methusius sah Wegener forschend an. »Sie haben es ihr gesagt?«
»Ich erfuhr erst jetzt, daß – daß Frau Hasslick noch lebt. Und ich bin sofort nach Lübeck gekommen. Ich war dabei, als ihr Sohn starb … Ich war sein bester Freund.«
»Tja, so ist das!« Dr. Methusius steckte die Hände in die Kitteltaschen. »Ich glaube, Sie haben es immer geahnt, Frau Hasslick«, sagte er, um das Schweigen zu brechen.
»Ich wußte genau, daß der heutige Tag kommen würde«, antwortete sie, und nur sie und Wegener wußten um den Doppelsinn dieser Worte.
»Kann ich Sie nachher noch sprechen, Doktor?« fragte Wegener.
»Ich bin bis 20 Uhr im Haus. Parterre, Zimmer neun.« Er wandte sich wieder Berta Hasslick zu und beugte sich über sie. »Und wie geht es uns heute? Das Herz?«
»Ich bin ganz ruhig, Herr Chefarzt. Sie sehen es ja.«
Methusius griff nach ihrem Puls, zu kurz, um zählen zu können, und nickte zufrieden. »Vor dem Schlafengehen eine Librium«, sagte er zu Schwester Else. »Die Reaktionen kommen noch!« Und, zu Wegener gewandt, sehr forsch: »Das ist eine tapfere Frau! Immer gute Laune, immer dankbar dem Leben gegenüber, nie eine Klage. Unsere Frau Hasslick lieben wir alle.«
»Man muß sie auch lieben«, sagte Wegener heiser. »In einer halben Stunde, Doktor?«
»Ich bin in meinem Zimmer.«
Er klopfte Berta Hasslick auf den schmalen Rücken, wünschte guten Appetit für das Abendessen und verließ mit Schwester Else das kleine Zimmer.
»War es gut so, mein Junge?« fragte Berta Hasslick, als sie hörten, wie sich die Schritte im Flur entfernten.
»Du warst wunderbar, Mutter!« Er lief zu ihr, setzte sich wieder auf die Sessellehne und legte den Arm um ihre Schulter. »Jetzt kann mir nichts mehr passieren.«
Sie nickte und senkte den Kopf. Ihre Finger glitten wieder nervös über ihr Kleid. »Wann mußt du zurück zu deinen Fabriken, mein Junge?«
»Morgen, Mutter.«
»Ich hätte so gern deine Frau kennengelernt. Und meine Enkel. Aber das geht ja nicht.«
»Warum geht das nicht? Ich lasse dich von meinem Fahrer abholen. Du bist die Mutter meines gefallenen Freundes Peter Hasslick, und ich lade dich ein«, sagte er. »Dann kannst du sie alle sehen.«
»So stark bin ich nicht.« Sie lehnte den kleinen Kopf wieder an seine Brust und faltete die Hände. »Und eine so weite Reise … Wenn du mir ab und zu schreibst, mein Junge – oder anrufst … Auf dem Flur haben wir ein Telefon, da können wir sprechen. Das wäre schön.«
»Mutter! Ich werde, wann immer es möglich ist, dich besuchen.«
»Ich weiß.« Sie lächelte vor sich hin. »Die Hauptsache ist, daß du lebst. Ich habe es gewußt, ich habe es gewußt. Und keiner wollte mir das glauben!«
Eine halbe Stunde später saß er Dr. Methusius gegenüber. Wegener hatte große Mühe, die Zerrissenheit zu verbergen, die der Abschied von seiner Mutter in ihm verursacht hatte. Und als er sagte: »Ich komme bald wieder!« hätte er sich am liebsten den Schädel an der Mauer eingerannt, weil er genau wußte, daß auch das eine Lüge war.
»Ich möchte, daß Frau Hasslick sofort verlegt wird«, sagte er zu Dr. Methusius. »Das beste Zimmer im Heim, Vollbetreuung, man soll ihr jeden Wunsch erfüllen. Was es kostet, spielt keine Rolle. Ich werde Ihrer Verwaltung einen Scheck über 20.000 DM schicken. Alle Unkosten können von meinem Konto abgebucht werden.«
»Das ist großzügig!« Dr. Methusius klopfte mit einem Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte. »Aber ob es sich noch lohnt?«
»Wie meinen Sie das?« fragte Wegener tonlos.
»Frau Hasslick ist ein medizinisches Wunder, wenn man es so laienhaft ausdrücken darf. Sie lebte bisher nur durch den Glauben, daß ihr Sohn noch lebt und eines Tages bei ihr auftaucht. Nun sind Sie gekommen und haben ihr
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