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Eine glückliche Ehe

Eine glückliche Ehe

Titel: Eine glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ab.
    »Schon gut. Muß ich mitkommen?«
    »Nicht unbedingt, Schwester Else.«
    »Sie haben schon öfter einsame Alte besucht?«
    »Das gehört zu meinem Beruf.«
    »Dann kennen Sie sich ja aus. Es freut mich riesig, daß Frau Hasslick mal Besuch bekommt.«
    Schwester Else ließ ihn stehen und lief in ihre Teeküche. Er starrte ihr nach, ihr Röckchen wehte um die schlanken Beine, und er mußte in dieser Situation, völlig sinnlos und hundsgemein, an Dr. Schwangler denken, der einmal gesagt hatte: »Wenn du an eine Rothaarige gerätst, gibt es nur eine Alternative: Entweder du oder ich. Einer muß erledigt liegenbleiben. Eher hören die nicht auf …«
    Wegener ging den Flur entlang, es sah aus, als klammere er sich an der Pralinenschachtel fest. Vor der Tür mit der Nummer 34 blieb er stehen und blickte zurück. Schwester Else stand vor der Teeküche und beobachtete ihn. Er lächelte ihr zu und schwenkte die große Pralinenschachtel. Sie lachte hell und verschwand wieder in ihrem Zimmer.
    Das habe ich geübt, dachte er: Menschen zu überzeugen, daß Lügen Wahrheiten sind. Aber hier ist meine Endstation. Wenn ich jetzt die Tür öffne, diese Tür mit dem Schildchen 34, ist Peter Hasslick nach fünfundzwanzig Jahren zu seiner Mutter zurückgekommen.
    Er klopfte, wartete keine Antwort ab und stieß die Tür auf.
    Berta Hasslick saß am Fenster, das auf ein Stück Wiese blicken ließ, und legte gerade Karten, als der Mann die Tür öffnete und ins Zimmer kam. Sie beugte sich vor, holte vom Tisch ihre Brille und setzte sie auf. Die Karten stimmen, dachte sie. Dreimal hintereinander war's gekommen: Besuch steht ins Haus. Das hatte sie schon oft gelegt in den vergangenen zehn Jahren. Aber es waren immer nur die Schwestern erschienen, der Arzt, der Chefarzt, ein Verwaltungsbeamter, der Mann von der Fürsorge. Das sind keine Besuche, hatte sie sich gesagt. Auch die Zimmernachbarin zählte nicht, die manchmal herüberkam und über ihre Gicht klagte. Besuch – das ist etwas Unverhofftes. Das ist ein Ereignis!
    Wegener ließ die Tür zufallen und lehnte sich neben sie an die Wand.
    Sie legt Karten, sie legt immer noch Karten … ich kenne es gar nicht anders von ihr. Wie man heute täglich in den Zeitungen die Horoskope liest, so legte sie täglich ihre Karten. Ein Fremder kommt über den Weg, oder: Eine Überraschung steht ins Haus. Oder: Psst, sag es nicht Vati, er hört das nicht gern, aber in der Nachbarschaft wird einer sterben. Oder: Ein wichtiger Brief wird kommen. – Und er war als Kind tief beeindruckt; wie oft das alles eintraf, was sie aus den Karten lesen konnte! Erst viel später begriff er, daß Deutungen und Erwartungen beliebig anwendbar sind, so ziemlich auf alles, was tagtäglich geschieht.
    O Mutter … Mutter …
    Sie hatte die Brille aufgesetzt, sah ihn jetzt ganz klar, starrte ihn stumm an. Auch er sagte nichts, blieb an der Wand neben der Tür stehen und spürte, wie ein unbändiges Schluchzen in ihm hochzog und völlig von ihm Besitz ergriff.
    Sie hatte die Hände sinken lassen, auf ihre Knie gelegt, und diese Hände, kleine, faltige Hände, die immer nur gearbeitet, die nie Ruhe gekannt hatten, bis das Alter sie von dem Zwang, ständig etwas zu tun, befreit hatte, diese gelbblassen, mit braunen Pigmentpunkten besprenkelten Hände begannen nervös das Kleid über den Knien zu streicheln.
    »Ja?« sagte sie. »Bitte?«
    Es ist noch ihre Stimme … Etwas brüchig – aber ihr Klang. Vor sechsundzwanzig Jahren, als er auf Urlaub gewesen war, hatte er diese Stimme zum letztenmal gehört. Und in diesem Augenblick war es ihm, als habe er sie immer im Ohr gehabt; es war ein Klang, so vertraut wie seit eh und je, eine Stimme, in die er eingebettet war vom Anbeginn seines Gefühls, seines Denkens, seines Erkennens. Mutter …
    »Ich bin Hellmuth Wegener«, sagte er. O du Schwein, du veränderst deine Stimme. Du sprichst bewußt zu tief. Und du sagst zu deiner Mutter ›Ich bin Hellmuth Wegener‹! Du feiger Hund! Warum fällst du nicht auf die Knie und kriechst zu ihr hin …
    »Sie sind Hellmuth Wegener …?« sagte sie langsam. Ihre Augen musterten ihn durch die Brille. Nickelgestell. Im Rahmen des Krankenkassensatzes. Ihre Hände streichelten wieder das Kleid. Dann, plötzlich, sanken ihre Arme zur Seite, der kleine Körper fiel in sich zusammen, nur der Kopf blieb erhoben, und über die Augen hinter den Brillengläsern fiel, wie Regen über eine Scheibe, ihr lautloses Weinen.
    Wegener ließ die

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