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Eine glückliche Ehe

Eine glückliche Ehe

Titel: Eine glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bewegungen immer langsamer, je näher er dem Eingang kam. Vor der Tür blieb er stehen und holte tief Atem.
    Mein Herz, dachte er erschrocken. Mein Herz hält das nicht aus. Ich bekomme keine Luft mehr! Aber – du verdammter Schuft! – das ist nicht die Freude darüber, daß du deine Mutter wiedergefunden hast! Das ist die nackte Angst.
    Er leckte sich über die Lippen und spürte, wie ausgedörrt sie waren. Er sah ganz klar, was passieren mußte, wenn bekanntgeworden sein würde, daß Peter Hasslick noch lebte. Zuerst würden die Behörden eingreifen: Die Fürsorge würde das für die alleinstehende Berta Hasslick verauslagte Geld zurückfordern, und damit würde eine Lawine ins Rollen kommen, die niemand mehr aufhielt. Sie würde alles niederreißen, was sich hinter der Mauer, die Hellmuth Wegener hieß, verschanzt hatte.
    Ein Skandal von unübersehbarem Ausmaß: Der große Wegener ist gar nicht Wegener. Der Ehrensenator, der Präsident so vieler Vereine, der Dr. h.c., der Aufsichtsratsvorsitzende bedeutender Firmen, der geehrte Geschäftspartner mit Freunden in der ganzen Welt, dieser korrekte, gescheite Musterknabe – nur ein kleiner Schlosser aus Osnabrück!
    Wegener öffnete die Tür zu Block V und trat in einen Vorraum, der durch eine Pendeltür vom Treppenhaus getrennt war. Links war die Pförtnerloge, eine Schwester saß hinter der Glasscheibe und betrachtete ihn kritisch. Anscheinend bekamen die Bewohner von Block V nicht oft Besuch.
    »Ich möchte zu Zimmer vierunddreißig«, sagte er. Die Schwester blickte auf einen Hausplan.
    »Frau Hasslick?«
    »Ja.«
    »Erwartet Frau Hasslick Sie?«
    »Nein. Warum?«
    Die Schwester stand auf und öffnete die durchlöcherte Sprechklappe in der Scheibe. »Ich frage nur, weil Sie der erste Besucher sind.«
    »Der erste? Wieso?«
    »Frau Hasslick hat noch nie Besuch bekommen. In den letzten zehn Jahren nicht ein einziges Mal.«
    »In den letzten zehn Jahren – kein Besuch?« Wegener preßte die große Pralinenschachtel an sich. Der Krampf, der sein Herz durchzog, war so quälend, daß er sich wunderte, wieso er nicht umfiel. »Nun – nun ist aber Besuch da!« sagte er mit größter Anstrengung. »Kann ich nun ins Zimmer vierunddreißig …?«
    »Selbstverständlich! Erste Etage, vom Aufzug links.« Die Schwester betrachtete das Paket unter Wegeners Arm, das Geschenkpapier, die große Satinschleife. »Melden Sie sich bitte auf der Etage erst bei Schwester Else. Es ist besser so.«
    »Ist Frau Hasslick krank?«
    »Nein. Aber wenn plötzlich nach zehn Jahren … Sie verstehen …«
    »Ich verstehe.«
    »Mit zweiundachtzig sind auch freudige Überraschungen gefährlich. Sie kennen Frau Hasslick?«
    »Nein«, sagte Wegener rauh.
    Wie steht es in der Bibel, dachte er. Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen! Damals verriet Petrus seinen Herrn Jesus. Aber du verrätst deine Mutter, du erbärmliches Schwein!
    »Wieso …« Die Pfortenschwester sah ihn noch kritischer an. »Wieso besuchen Sie dann Frau Hasslick?«
    »Ich bin Mitglied des Roten Kreuzes«, sagte Wegener heiser. »Wir suchen uns jedes Jahr Namen heraus und besuchen einsame Menschen.«
    Die Schwester nickte befriedigt. »Erste Etage, links vom Aufzug. Die alte Frau wird sich freuen.«
    Wegener stieß die Glaspendeltür auf. Ein sauberes, nach Putzmittel riechendes Treppenhaus. Flure, Türen, Nummern. In der Mitte der Lift. Breit genug, um auch Betten zu transportieren. Zwei alte Männer in viel zu weit gewordenen Anzügen standen an einem Flurfenster und unterhielten sich. Durch einen anderen Flur fuhr in einem Selbstfahrrollstuhl eine alte Frau, rollte an Wegener vorbei, grüßte ihn mit einem Nicken und fuhr in einen anderen Flur hinein.
    Sie kommen hier alle zusammen, die Flure, dachte Wegener. Sternförmig, wie die großen Avenuen in Paris auf die Place de l'Etoile münden. Aber hier sind es Straßen der Einsamkeit. Altwerden kann auch eine Strafe sein, nicht nur eine Gnade Gottes.
    Er benutzte den Aufzug nicht, sondern stieg die Treppe hinauf in die erste Etage. Flur links, Zimmer vierunddreißig, das war Berta Hasslick. Schwester Else, von der Pforte bereits alarmiert, wartete vor dem Aufzug, als Wegener um die Ecke bog.
    »Sie sind der Herr, der zu Frau Hasslick möchte?« fragte sie. »Vom Roten Kreuz?«
    »Ja …«
    »Haben Sie einen Ausweis?«
    »Natürlich.« Wegener wollte in seine Rocktasche greifen, aber Schwester Else, ein junges, rothaariges Mädchen mit Sommersprossen, winkte

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