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Eine glückliche Ehe

Eine glückliche Ehe

Titel: Eine glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und erschrak, denn ihm fiel ein, daß dies nicht zu der feinen Art eines Medizinstudenten paßte. Auch wenn er gerade aus Nowo Nigaisk kommt. Er lächelte Irmi schief an und legte die Hände auf seine Oberschenkel.
    »Ich bin müde«, sagte sie plötzlich. »Gehen wir hinauf?«
    »Ja, gehen wir.« Eine fremde Stimme, dachte er. Ich habe eine fremde Stimme. Sie klingt wie von Rost zerfressen.
    Er erhob sich und ging hinter Irmi her, die den Zimmerschlüssel hatte. An der Tür der Gaststube drehte er sich um, lief zurück und holte sein Segeltuchbündel aus der Ecke. Sie wartete und lächelte ihn an.
    »Dein Rasierzeug?«
    »Ja. Ein alter Apparat mit zwei Klingen. Ich habe ihn in Frankfurt/Oder in der Rote-Kreuz-Station bekommen.« Er strich über seinen stoppeligen Bart. »Ich werde mich sofort rasieren, Irmi. Dann seh ich vielleicht wieder so aus wie auf deinem Foto …«
    Sie betraten das Zimmer, Nr. 9, und sahen sich um. Es war, wie erwartet, nicht geheizt, es gab nur kaltes Wasser aus der Leitung, ein Bauernschrank stand an der Wand, am Fenster ein Tisch mit zwei Stühlen, an der Längswand das Doppelbett. Darüber ein Bild: Schwan auf einem Dorfteich. Wegener kam es vor wie ein Luxuszimmer. Sogar eine Bettumrandung aus Schafswolle, naturfarben, war vorhanden.
    »Ich hole dir aus der Küche heißes Wasser«, sagte Irmgard. »Wegen des Rasierens. Mit kaltem Wasser bekommst du den Bart nicht ab.«
    »Hast du soviel Erfahrung mit Männerrasuren?« fragte er scherzhaft.
    Sie fand das gar nicht lustig, ihre Augen wurden dunkelblau. »Glaubst du das wirklich?«
    »Irmi –«, sagte er lahm.
    »Ich weiß es von Paps. Wenn er sich mit kaltem Wasser rasiert, schabt er sich immer die Haut auf.«
    Sie ging hinaus, die Tür fiel hinter ihr zu. Wegener setzte sich auf den Stuhl am Fenster und atmete ein paarmal tief durch. Ich bin ein Klotz von einem Kerl, dachte er. Ungebildet, dämlich. Der feinsinnige Hellmuth Wegener hätte sich jetzt anders benommen, ganz bestimmt, er hätte die richtigen Worte gefunden und seine Frau längst an sich gedrückt. Er wäre zärtlich gewesen, geistvoll, eben der Mann, den Irmgard Lohmann geheiratet hatte.
    Das breite Bett zog seinen Blick an. In einer halben Stunde, vielleicht auch früher, würde er neben ihr liegen. Sie würde auf ihn warten, und er würde den ersten Schritt tun müssen, das erste Strecken der Hand, die erste Berührung ihres nackten Körpers, das erste Streicheln … Es war seine Aufgabe, ihr zu zeigen: Du gehörst mir. Ich liebe dich.
    Er erhob sich, ging zum Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf. Dann zog er seine Uniform aus, das graue Unterhemd und stand mit bloßem Oberkörper vor dem Spiegel über dem Becken. Ein knochiger Mensch, ein Skelett mit Haut überspannt. Man konnte die Knochen genau bestimmen: das Schlüsselbein, das Brustbein, die Rippenbögen, Sternum, dachte er. Für das Brustbein sagen die Mediziner Sternum. Es gehörte zu den paar hundert Wörtern, die er sich notiert hatte und mit denen er später im Lazarett von Nowo Nigaisk am Ärztetisch hatte mitreden können, ohne aufzufallen.
    Metacarpus – Mittelhand. Metatarsus – Mittelfuß. Pneumonie – Lungenentzündung. Trauma-Verletzung, Wunde. Exzision-Ausschneidung. Exitus – Tod.
    Hinter ihm klappte die Tür. Irmi kam mit einem Topf heißen Wassers. Sie trat neben ihn, steckte den Gummipfropfen in den Abfluß und goß das Wasser ins Becken.
    »Woran denkst du?« fragte sie.
    »An eine Operation im Lager«, antwortete er kühn.
    »Du hast operiert?« Sie war beeindruckt.
    »Natürlich. Die gesamte Chirurgie. Amputationen, Bauchoperationen, einmal sogar einen Anus praeter …«
    Es klang gut, glaubhaft, selbstverständlich. Er hatte es ja lange genug geübt, meistens auf dem Lokus des Lazaretts von Nowo Nigaisk. Dort, auf dem Brett über der Scheißgrube, war er allein, saß auf dem runden Ausschnitt des Brettes über der Scheißgrube und hörte sich selbst ab.
    Was heißt Hirnhautentzündung? – Meningitis.
    Und was Gehirnentzündung? – Encephalitis.
    Es war schwer, aber langsam und sicher begriff er es und behielt die Begriffe.
    »Nach vier Semestern durftest du das schon?« fragte Irmi jetzt.
    »In Sibirien haben sogar Laien amputiert, wenn Not am Manne war. Es ging ums Überleben, nicht um einen Preis für die schönste Narbe.«
    »Es muß furchtbar gewesen sein, mein Liebling …«
    »Es ist vorbei.«
    Er drehte sich um, küßte sie auf die Stirn, ging zu seinem Bündel und schnürte es

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