Eine glückliche Ehe
auf. Dann rasierte er sich, dreimal, weil der Bart so hart war, daß die stumpfen Klingen es nicht mit zwei Anläufen schafften.
Als er sich umdrehte und über seine glatten Wangen strich, lag sie bereits im Bett.
Er hatte es nicht gehört, sie hatte sich ganz leise ausgezogen. Auf einem der Stühle lag ihre Kleidung, vor dem Bett standen die Schuhe. Sie hatte das Federbett bis zum Hals gezogen, aber er sah an der Seite, wo das Bett sich etwas hob, daß sie darunter nackt war.
»Jetzt siehst du endlich, wie ich wirklich aussehe«, sagte er ungelenk. »So etwas hast du geheiratet.«
»Du gefällst mir.« Ihr blondes Haar schimmerte im Licht der armseligen Nachttischlampe wie feinste Messingstreifen. »Das weißt du doch, Hellmuth.«
Er schluckte. Hellmuth. »Ja, ich weiß es«, sagte er heiser.
»Komm ins Bett. Ich friere.«
»Sie hätten auch heizen können!«
»Es gibt keine Kohlen. Und auch das Holz wird zugeteilt. Im Bett wird man von allein warm, sagen sie.«
»Das stimmt.« Er kam ans Bett, setzte sich auf seine Matratze, zog die Schuhe aus, halbhohe Schnürstiefel, die man ihnen als Geschenk zum Abtransport gegeben hatte. Und jetzt die Hose! Hinter dir wartet deine Frau! Sie wartet seit vier Jahren auf diese Nacht. Vier Jahre Warten auf Zärtlichkeit, zu der sie ja gesagt hatte vor einem Tisch mit einem Stahlhelm und einem Foto.
Er streifte die Hose herunter, warf sie in die Ecke und verfluchte seinen Körper, der anders reagierte als seine Gedanken. Als er sich in das Bett wälzte, mußte sie es gesehen haben, denn sie sagte mit einer kindlichen und doch so fraulichen Stimme:
»Komm! Vergiß jetzt alles … Ich bin jetzt bei dir. Immer.«
Sie schob sich zu ihm hinüber, die Berührung mit ihrer warmen, glatten Haut durchfuhr ihn wie ein Blitz, er fühlte ihre Hand, und er stöhnte auf, als sie fast über ihn kroch, ihre Brüste auf ihn drückte und alles, was er sagen wollte, in einem Kuß ertränkte.
»Ich liebe dich«, sagte er später. »Ich liebe dich. So kann man nur einmal im Leben lieben …«
Und sie antwortete: »Ich bin so glücklich, deine Frau zu sein.«
Der Apotheker Johann Lohmann stand hinter dem Ladentisch und verkaufte gegen Rezept einige Hustenmittel, als Irmgard und Hellmuth Wegener die Apotheke betraten. Sie hatten den klapprigen P4 etwas seitwärts vom Schaufenster geparkt, wo ihn Lohmann nicht sehen konnte, wenn er auf die Straße blickte.
»Wir wollen ihn überraschen«, sagte sie und nahm seine Hand, als sei er ein Kind, das zum ersten Schultag gebracht wird.
»Überraschen? Wieso?«
Sie lächelte sanft. »Es war gar nicht sicher, daß du aus Rußland kamst. Niemand wußte etwas Genaues. Ich bin auf gut Glück nach Friedland gefahren, als deine Karte aus Moskau eintraf. Die Lagerleitung sagte: Es kommen täglich Transporte an, mal mehr, mal weniger Entlassene. Aber die Russen schicken uns keine Namenslisten zu. Wenn Sie wollen, können Sie warten. Aber es kann dauern.«
»Und du hast gewartet?«
»Ja.« Sie nickte und drückte sich an ihn. »Fünf Tage. Wir waren neununddreißig Frauen in einem Schlafsaal.« Sie zog ihn weiter über die Straße, als sträube er sich mitzugehen. »Paps hat behauptet, du kämest nicht nach Hause, du würdest sicher nur in ein anderes Lager verlegt.«
Er blieb nun doch stehen; sie ließ seine Hand nicht los, obwohl sie zwei Schritte weitergegangen war.
»Was denkt er über mich?« fragte er.
»Er kennt doch nur dein Bild, Liebling.«
»Was denkt er über mein Bild?«
Sie lachte hell. Sie war so schön, daß sein Herz schmerzte.
»Ich habe dich geheiratet, nicht er. Väter von einzigen Töchtern sind immer eifersüchtig und besonders kritisch. Er hat immer gehofft, daß ich einmal einen Apotheker ins Haus bringe, weil ich kein Interesse hatte, Pharmazie zu studieren. Paps hat nämlich einige Medikamente entwickelt, die er einmal industriell auswerten will. Pharmaziewerk Lohmann – das ist sein Lebenstraum. Was ihn versöhnt, ist, daß du Medizin studierst.«
Wegener nickte wortlos. Jetzt kann ich es ihr noch sagen, dachte er. Jetzt sofort, auf der Straße. Kein geeigneter Ort für eine Beichte, aber wenn ich die Apotheke betreten und Johann Lohmann begrüßt habe, ist wieder ein schwerer Stein vor die Wahrheit gewälzt. Es wird immer weniger möglich, noch zu gestehen, daß es einen Schlosser Peter Hasslick aus Osnabrück gibt …
Er sah sie an, sie lachte ihm zu, zog an seinem ausgestreckten Arm, ihr von der Kälte gerötetes
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