Eine glückliche Ehe
Fotos und Namen, dicht an dicht. Eine Armee Vermißter. Eine Armee verzweifelter Hoffnung.
»Du siehst so anders aus als auf dem Bild«, sagte Irmi plötzlich.
»Vier Jahre Gefangenschaft. Die verändern einen Menschen.« Er blieb stehen. »Ist es so schlimm?«
»Aber nein!« Sie lachte und stürzte mit einem Sprung in seine Arme. »Wir machen aus dir schon wieder einen Menschen …«
Sie gingen zu einem Parkplatz, Irmgard steuerte auf einen schwarzen Wagen zu. Wegener hielt sie am Ärmel fest.
»Du hast ein Auto?«
»Paps. Ein Opel P4.«
»Und Benzin?«
»Als Apotheker bekommt man manches. Sogar den roten Winkel für die Fahrerlaubnis.«
»Es wird also geschoben?«
»Natürlich!« Sie lachte. »Wie soll man sonst weiterleben?« Ihre blauen Augen funkelten. Er hätte sie nehmen können und vor Liebe zerreißen.
Sie fuhren ein paar Kilometer, kamen an einem Wald vorbei, und Irmgard bog von der Straße ab und fuhr einen Seitenweg in den Wald hinein. Dort bremste sie und hauchte in die Hände. Es war kalt, ein sonnenloser, grauer Schneetag.
Jetzt kommt es, dachte Wegener. Jetzt wird sie mir sagen: »Du bist nicht mein Mann!« Ich glaube, dann häng' ich mich am nächsten Ast auf …
Aber sie sagte: »Hast du Hunger, Liebling?«
Wegener grinste dumm. Er hatte sein Gesicht nicht mehr unter Kontrolle, sein Herz hämmerte wie verrückt.
»Und wie«, sagte er heiser.
Sie griff nach hinten, holte einen Pappkarton vom Sitz und klappte ihn auf. Eine große Blechdose steckte darin, und als sie den Deckel abhob, füllte sich das kleine Auto mit einem köstlichen Duft.
»Huhn!« sagte sie. »Ich habe es vorhin in der Lagerküche gebraten. Und Kartoffelsalat habe ich auch.«
»Irmi!«
Er umarmte sie, und wieder fiel sein Kopf gegen ihre Brust. Er fühlte, wie das Schluchzen wieder hochkroch.
»Ich liebe dich …«, stammelte er.
»Ich weiß. Ich bin doch deine Frau.«
Sie legte den Arm um ihn und preßte ihn an sich. Er spürte, wie auch sie zitterte, und wagte es, durch den Stoff des Kleides ihre Brust zu küssen.
»Was auch kommt«, sagte er heiser, »Irmi, vergiß es nie, vergiß es nie: Ich liebe dich. Ich werde nie aufhören, dich zu lieben.«
»Du hast ja noch gar nicht angefangen.« Sie schob seinen Kopf von ihrer Brust und küßte ihn auf die Nase. »Iß dein Huhn, bevor es kalt wird.« Sie sah ihn wieder mit einem fast kindlichen Staunen an und sagte dann: »Ich wußte gar nicht, wie groß du bist. Du hast mir geschrieben: Einsvierundsiebzig …«
»Dann habe ich mich um zehn Zentimeter vertan.« Er biß in das Huhn wie ein Kannibale. Sie holte eine Blechschüssel aus dem Karton und schaufelte Kartoffelsalat hinein.
»Es ist gut so«, sagte sie. »Dann habe ich zehn Zentimeter mehr Liebe.«
3
Bei Einbruch der Dunkelheit erreichten sie Schmallenberg im Sauerland.
Der kleine P4 rutschte über die schneebedeckten Straßen, man mußte langsam fahren, die Reifen hatten kaum noch ein Profil und drehten öfter durch. Dann stieg Hellmuth aus, schob den Wagen an, drückte ihn aus den Schneeverwehungen oder über die Glatteisstrecken, oder man legte zwei Säcke unter die Hinterräder, Meter um Meter, bis man die kritischen Stellen überwunden hatte. Irmi hatte vier Jutesäcke, einen Sack mit Sand und einen kleinen Spaten in den Kofferraum gelegt, sogar eine Thermosflasche mit heißem Tee hatte sie mitgenommen.
»Du bist eine gute Fahrerin«, sagte Wegener. »Und hast an alles gedacht.«
»Im Krieg hat man vieles gelernt, von dem man früher keine Ahnung hatte«, antwortete sie.
»Das stimmt.« Er lehnte sich gegen die Kühlerhaube des Autos, schlürfte den dampfenden Tee und betrachtete seine Frau. Ihr Kindergesicht war gerötet von der Kälte und der Anstrengung dieser Fahrt.
Durch das geschlossene Grau des Himmels drückte sich die Dämmerung. – Eine halbe Stunde noch, und es würde dunkel sein.
»Wir erreichen Köln heute nicht mehr«, sagte er.
»Auf gar keinen Fall. Wir übernachten unterwegs. Ich glaube, wir sind nahe bei Schmallenberg.«
Schmallenberg? Nie gehört. Was weiß ein Schlosser aus Osnabrück von Schmallenberg?
»Ein schöner Ort hier im Sauerland.« Sie lächelte und schraubte die Thermosflasche zu.
»Aha.« Er nickte, als erinnere er sich. »Ob wir irgendwo unterkommen?«
»Ein Bett finden wir immer.«
Ein Bett, durchfuhr es ihn. Natürlich, ich werde heute nacht mit ihr in einem Bett schlafen. Sie ist ja meine Frau. Sie wird an meine Seite kriechen, mich umarmen, sich an
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