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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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verheiratet. Aber zur Tarnung ist das ideal.«
    »Was ist mit Ihrem Bruder?«
    »Den gibt es. Und er ist der Postamtsvorsteher von Genf.« Sie lächelte ihn an. »Nicht alles ist gelogen.«
    Ihr Lächeln entwaffnete ihn derart, dass er den Blick nicht mehr von ihr abwenden konnte – ihrer markanten kleinen Nase, ihren tiefbraunen Augen, der dunklen Mulde unterhalb ihres Schlüsselbeins. Offenbar war er bereit, ihr zu vergeben. Tatsächlich fiel es ihm grotesk leicht.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte sie. »Haben Sie sich von den Schüssen erholt?«
    »Ich habe sieben Narben zurückbehalten, die mich an Sie erinnern«, sagte er und zeigte ihr das Stigma an seiner linken Handfläche. »Und mein Bein wird manchmal steif.« Er klopfte sich auf den linken Oberschenkel. »Abgesehen davon geht es mir erstaunlich gut.«
    »Ein Glück, dass ich so eine schlechte Schützin bin«, erwiderte sie mit einem zerknirschten Lächeln. »Ich kann mich nur immer wieder bei Ihnen entschuldigen. Stellen Sie sich bloß vor, dass ich pausenlos um Verzeihung bitte. Verzeihung, Verzeihung, Verzeihung.«
    Lysander zuckte mit den Schultern. »Schon gut. Ich lebe noch. Sie sind hier.« Er hob sein Glas. »Das ist mein Ernst – trotz allem, was zwischen uns vorgefallen ist: Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen.«
    Das trug offensichtlich zu ihrer Entspannung bei. Sie hatte nun Sühne geleistet.
    »Und Sie haben noch gewusst, dass ich gern Dubonnet trinke«, sagte Florence Duchesne.
    Lysander sah ihr in die Augen.
    »Sie trinken gern Dubonnet, aber keinen Champagner.«
    »Und Sie waren mal ein berühmter Schauspieler.«
    »Schauspieler, das ja … Sie wollten doch etwas mit mir bereden?«
    Ihr Blick wurde ernst.
    »Mein Kontaktmann bei der Botschaft hat mir ein interessantes Detail verraten, bevor er verhaftet und deportiert wurde. Die Person, die Glockner beschickt hat, wurde dafür bezahlt. Man hat ihr über die Schweiz große Geldsummen zukommen lassen.«
    »Ich dachte mir schon, dass Geld eine Rolle spielt. Ist auch ein Name gefallen?«
    »Nein.«
    »Ganz sicher?«
    »Mehr hat er mir nicht gesagt. Es war allerdings auffallend viel Geld. Bereits über zweitausend Pfund. Zu viel für einen Einzeltäter. Ich habe mich gefragt, ob es sich vielleicht um eine Zelle handelt, mit zwei oder drei … «
    Lysander war nicht überrascht, seinen eigenen Verdacht bestätigt zu sehen, aber er täuschte Ungläubigkeit vor, indem er die Stirn runzelte und mit den Fingern trommelte.
    »Haben Sie anderen davon erzählt?«
    »Noch nicht. Sie sollten es als Erster erfahren.«
    »Warum nicht Massinger?«
    »Seit Glockner tot ist, hält er den Fall wohl für abgeschlossen.«
    »Könnten Sie das noch eine Weile für sich behalten? Das wäre mir eine Hilfe.«
    »Natürlich.« Wieder lächelte sie. »Das mache ich gern.«
    Er lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander.
    »Werden Sie nun in London bleiben?«
    »Nein«, erwiderte sie. »Massinger möchte mich in Luxemburg einsetzen – um Truppenzüge zu zählen. Ich soll mich mit einem einsamen alten Bahnhofsvorsteher anfreunden.«
    »Also werden Sie la veuve Duchesne wieder aufleben lassen.«
    »Eine sehr wirksame Tarnung – schafft auf Anhieb Respekt. Man wird nicht behelligt. Niemand möchte einer Trauernden zu nahe treten.«
    »Warum tun Sie das?«
    »Und Sie?« Sie wartete seine Antwort gar nicht erst ab. »Massinger bezahlt sehr gut dafür«, gab sie offen zu. »Und ich weiß Geld zu schätzen, weil ich erlebt habe, wie das ist, wenn man keins hat. Keinen Penny. Das war hart … « Sie stellte ihr Glas ab und drehte es eine Weile auf dem Untersetzer hin und her. Lysander schwieg.
    Nach einer Weile fragte sie, ohne den Kopf zu heben: »Was halten Sie von Massinger?«
    »Schwierig. Charakterlich schwierig.«
    Nun blickte sie ihn offen an.
    »Es fällt mir schwer, ihm voll und ganz zu vertrauen. Er ändert oft seine Meinung.«
    Lysander fragte sich, ob das als versteckte Warnung gemeint war. Er beschloss, sachlich zu bleiben.
    »Massinger sorgt sich um seine Position. Offenbar will man Genf und die Schweiz aufgeben und sich auf Holland konzentrieren.«
    »Ich soll über Holland nach Luxemburg fahren und dort einen gewissen Munro treffen.«
    »Soviel ich weiß, ist Munro für Holland zuständig. Das sorgt sicher für kleinere Rivalitäten.«
    »Es wäre ein Leichtes gewesen, von der Schweiz aus nach Luxemburg zu gelangen. Glauben Sie, dass noch etwas anderes dahintersteckt?«
    »Das weiß ich nicht«,

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