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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Revolver aus ihrer Handtasche ziehen und ihn über den Haufen schießen. Er starrte sie an. Es war unverkennbar Florence Duchesne und doch eine andere als die Witwe, die er zuletzt auf dem Dampfer am Lac Léman gesehen hatte. Die schwarze Tracht und den Schleier hatte sie abgelegt, dafür Puder und Lippenstift aufgetragen. Sie trug ein magentarotes Stadtkostüm mit taillenkurzer Jacke und Humpelrock. Im Ausschnitt ihrer Seidenbluse steckte ein Nickituch, ein violettrotes Samtbarett, dunkler als ihr Kostüm, saß schräg auf ihrem Kopf. Als wäre Madame Duchesnes hochmodische Zwillingsschwester plötzlich aufgetaucht, nicht die schwermütige Witwe, die beim Postamtsvorsteher von Genf wohnte.
    Als sie sich zu ihm in die Nische setzte, zuckte Lysander unwillkürlich zusammen.
    »Ich musste Sie einfach sehen, Monsieur Rief«, sagte sie auf Französisch. »Um Ihnen alles zu erklären und natürlich auch, um mich zu entschuldigen.«
    Verwirrt blickte Lysander von ihr zu Massinger und wieder zu ihr. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Da stand Massinger auf und sorgte für Ablenkung.
    »Ich gehe, damit Sie beide sich in Ruhe unterhalten können. Bis später, Madame. Auf Wiedersehen, Rief.«
    Lysander sah ihm hinterher, als er nach vorne ging, um seinen Zylinder zu holen. Damit wirkte Massinger in seinen Augen wie ein leitender Ladenverkäufer. Er wandte sich wieder Florence Duchesne zu.
    »Mir kommt das sehr merkwürdig vor«, sagte er bedächtig. »Ausgerechnet neben der Person zu sitzen, die drei Mal auf mich geschossen hat. Äußerst merkwürdig … Sie wollten mich doch wohl umbringen.«
    »In der Tat. Dabei dürfen Sie aber nicht vergessen, dass ich dachte, Sie steckten mit Glockner unter einer Decke. Außerdem war ich überzeugt, dass Sie ihn getötet hatten. Und als Sie wegen des Schlüsseltextes logen, hielt ich das für den schlagenden Beweis. Massinger hatte mir ja eingebläut, nicht das kleinste Risiko einzugehen – er sagte sogar, Sie könnten durchaus ein Verräter sein. Hätte ich unter diesen Umständen zulassen dürfen, dass Sie in Évian an Land gehen und einfach verschwinden? Nein. Wenn man bedenkt, wie schwerwiegend mein Verdacht war – ich habe nur meine Pflicht getan.«
    »Sicher. Sie haben das einzig Richtige getan.« Der Sarkasmus ließ Lysander ungewöhnlich harsch klingen, beinah wie Massingers Reibeisenstimme. Ihm fiel dessen fehlerhaftes Pennälerfranzösisch ein. Madame Duchesne senkte den Kopf.
    »Und doch … « Sie brach mitten im Satz ab.
    »Ich frage mich, ob es hier wohl Alkohol gibt.« Lysanders Frage war rein rhetorisch. »Vermutlich nicht vornehm genug. Ich könnte einen starken Drink vertragen, Madame. Das verstehen Sie sicher.«
    »Von mir aus können wir gern in ein Hotel gehen. Ich hätte etwas Wichtiges mit Ihnen zu bereden.«
    Nachdem Lysander bezahlt hatte, standen sie auf. Florence Duchesne nahm an der Garderobe einen schwarzgefärbten Bisammantel entgegen, dessen einziger Knopf in Hüfthöhe angebracht war. Als er ihr in den Mantel half, roch er ihr starkes Parfum. Ihm fiel das Abendessen auf der Terrasse der Brasserie des Bastions in Genf ein, damals schon hatte er ihren Duft bemerkt, der ihm unpassend erschienen war, doch nun erkannte er, dass er einen Hauch ihrer wahren Identität transportierte. Ein verräterischer kleiner Hinweis. Er betrachtete sie verstohlen, während sie schweigend zum Connaught Hotel liefen.
    Sie suchten sich einen Platz in der Lounge, Lysander bestellte für sie einen Dubonnet und für sich einen großen Whisky Soda. Während er trank, ließ seine Nervosität allmählich nach. Seltsam, wie schnell man sich an die absurdesten Situationen gewöhnt, dachte er – da sitze ich nun in trauter Einigkeit mit der Frau zusammen, die mich umbringen wollte. Er warf ihr über den Tisch einen Blick zu und verspürte weder Wut noch Entrüstung. Er sah in ihr nichts weiter als eine äußerst attraktive, nach der allerneuesten Mode gekleidete Frau.
    »Warum sind Sie in London?«, fragte er.
    »Massinger hat mich aus Genf herausgeschleust. Das Pflaster wurde zu heiß.«
    Sie erklärte Lysander auch warum. Ihr Kontaktmann bei der deutschen Botschaft – »der Herr mit den kompromittierenden Briefen« – war verhaftet und nach Deutschland deportiert worden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er ihren Namen preisgab. »Darum hat Massinger mich umgehend herausgeholt.«
    »Ich nehme an, dass Sie nicht wirklich verwitwet sind.«
    »Nein. Ich bin nicht einmal

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