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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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gab es zwar auch annähernd verdunkelte Bereiche, doch insgesamt musste es dem Kapitän dieses Luftschiffs irgendwo da droben wie eine Einladung vorkommen. Wo soll ich meine Bomben abwerfen? Hier? Oder dort? Wie aufs Stichwort streifte der erste Suchscheinwerfer den Zeppelin, dann der zweite und dritte. Lysanders erster Gedanke war, mein Gott, wie groß – gigantisch – und welche erhabene Schönheit. Das Luftschiff befand sich in großer Höhe und bewegte sich stetig vorwärts, wie schnell, konnte er nicht einschätzen. Der immer lauter werdende Artilleriekrach verschluckte die Motorengeräusche, so dass es aus eigener Kraft über ihnen zu schweben schien, eher von Nachtwinden angetrieben als von Maschinen.
    Ein weiteres Luftabwehrgeschütz begann zu feuern, diesmal ganz in der Nähe – Pop! Pop! Pop!
    »Das ist das Geschütz im Green Park«, sprach Tremlett ihm ins Ohr, bevor er in die Dunkelheit hinausbrüllte: »Macht sie fertig, Jungs!«
    Die anderen Männer auf dem Dach stimmten mit ein, während Lysander den Zeppelin bewunderte, ergriffen von der tödlichen Schönheit dieser riesigen silbernen Flugmaschine im Fadenkreuz der Suchscheinwerfer, die sich allem Anschein nach inzwischen fast direkt über ihnen befand.
    »Achttausend Fuß hoch«, sagte Tremlett. »Mindestens.«
    »Wo sind unsere Flugzeuge? Warum können wir ihn nicht abschießen?«
    »Wissen Sie, wie lange unsere Flugzeuge brauchen, um diese Höhe zu erreichen, Sir?«
    »Nein. Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
    »Etwa vierzig Minuten. Bis dahin ist er längst wieder weg. Oder er wirft einfach Ballast ab und steigt weitere tausend Fuß auf. Für ihn ein Kinderspiel.«
    »Woher wissen Sie so gut Bescheid, Tremlett?«
    »Mein kleiner Bruder ist beim Royal Flying Corps. In Hainault stationiert. Er ist immer – Whoah! Heilige Scheiße!«
    Die erste Bombe war detoniert. Unweit vom Embankment – zunächst loderte ein Flammenmeer auf, dann breitete sich die Stoßwelle aus, und man hörte den dumpfen Knall der Explosion.
    »Die Strand brennt!«, schrie Tremlett. »Verfluchter Mist.«
    Danach ertönten in rascher Folge weitere Explosionen, während eine Bombe nach der anderen fiel, von Tremletts Kommentaren begleitet.
    »Die haben es auf die Theater abgesehen! Hol’s der Teufel! Das war Drury Lane! Das ist Aldwych!«
    Lysander verspürte einen Anflug von Übelkeit. Blanche stand im Lyceum auf der Bühne. Himmel. Wellington Ecke Aldwych Street. Er hielt seine Uhr ins Licht – die Pause musste gerade angefangen haben. Der Zeppelin drehte langsam nach Norden ab, Richtung Lincoln’s Inn. Die nächsten Bomben schlugen außer Sichtweite ein.
    »Ein Riesenfeuer!«, brüllte Tremlett. »Guckt euch das an, die haben das Lyceum erwischt!«
    Lysander stürmte die Treppe hinunter. Draußen auf dem Embankment hörte er die Sirenen der Polizei und Feuerwehr, Pfiffe, Schreie, alles aus Richtung der Strand, während in der Ferne noch mehr Bomben fielen. Er rannte über die Carting Lane zur Strand, am Hotel Cecil vorbei. Von dort aus sah er schon die haushohen Flammen, ein grelles, künstliches Orange, das die Fassaden der Aldwych und Wellington Street beleuchtete. Gas, dachte er, eine explodierte Gasleitung. Unzählige Menschen liefen über die Strand zur Feuerquelle. Lysander zwängte sich durch die Menge und flitzte die Exeter Street hinauf. Dort breitete sich eine dichte Staubwolke aus, und alle Straßenlaternen waren erloschen. Als er um die Ecke bog, sah er lauter Glas- und Ziegelscherben auf der Straße liegen, dahinter den ersten dampfenden Krater. Es war, als würde darin die Erde selbst brennen. Drei Leichen lagen zusammengedrängt am Straßenrand, wie schlafende Landstreicher. Am Ende der Straße gleißte das Feuer besonders hell. Er rannte darauf zu und sah, dass es direkt am Lyceum brannte, aus der Gasleitung schlugen riesige Flammen empor. Noch mehr Sirenen, Rufe, Schreie. Eine Frau in einem paillettenbesetzten Kleid stolperte ihm wimmernd aus dem Dunkeln entgegen, von ihrem rechten Arm war nur noch ein zuckender Stumpf übrig. Ein Mann in Smoking lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken, ohne sichtbare Verletzungen.
    Eine halbe Giebelwand war hier eingestürzt, so dass eine zwei Meter hohe Mauer aus losen Ziegeln ihm den Weg abschnitt. Aus der Wellington Street hörte Lysander Frauen schreien, während Polizisten riefen: »Zurück! Zurück!« Als er über den Ziegelhaufen steigen wollte, rutschte er ab und schlug schmerzhaft mit dem Ellbogen

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