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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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ich die Bomben gesehen habe, wollte ich wissen, was mit dir ist. Ich habe mir Sorgen gemacht … «
    »Ach, liebster Lysander … «
    Er schloss sie fest in die Arme. Blanche zitterte am ganzen Körper.
    »So kannst du nicht nach Hause gehen«, sagte er sanft und nahm sie bei der Hand. »Komm mit zu mir, dort kannst du dich frisch machen. Einen ordentlichen Drink genießen. Wir sind in zwei Minuten da.«

14. Autobiographische Untersuchungen
    Blanche ist gegangen. Es ist neun Uhr morgens. Ihre Kleidung hatte sie vom Lyceum kommen lassen. In den Zeitungen steht, dass durch den Luftangriff siebzehn Menschen umgekommen sind – dem »Großangriff auf die Theaterlandschaft«. Bizarrerweise verdanke ich dem Piloten dieses Zeppelins mein Glück: Meine erste Nacht im Trevelyan House Nr. 3/12 habe ich mit Blanche verbracht. Blanche. Ihre breiten, tief angesetzten Brüste, vorspringenden Hüftknochen, langen schmalen, fast jungenhaften Oberschenkel, ihr weiß gepudertes Gesicht, das Schönheitsmal, der Lippenstift, von dem nach unseren Küssen nicht viel übrig war. Wie sie meinen Kopf mit beiden Händen packte, mein Gesicht dicht über ihrem hielt und mir unverwandt in die Augen sah, als ich zum Höhepunkt kam. Befreiung. Erlösung. Wie sie nackt durch das Zimmer lief, um meine Zigaretten zu finden, dann wie eine blasse Odaliske stehen blieb, um erst sich und dann mir eine Zigarette anzuzünden.
    Frage: Wer war dieser Mann, der mich im Verborgenen beobachtete?
    Der Schock, die nervliche Anspannung werden mir erst im Nachhinein bewusst. Der Zeppelin, die Bomben, die Leichen, die Schreie. Das Wiedersehen und das Zusammensein mit Blanche haben mich alles andere verdrängen lassen, so auch diese merkwürdige Begegnung in der Exeter Street – Teil des Wahnsinns, des Schreckens dieser Nacht. Wollte mir jemand Angst einjagen? Sollte das eine Warnung sein? Vandenbrook weilte dem Vernehmen nach in Folkestone – und ich kann mir nicht vorstellen, dass er etwas tun würde, das dermaßen gegen seine Interessen verstößt. Ich bin doch seine letzte Hoffnung.
    Ich führe mir immer wieder das Bild vor Augen, das ich von ihm erhascht habe, bevor er verschwand. Warum denke ich bloß an Jack Fyfe-Miller? Nein, das ist bestimmt ein Irrtum. Trotzdem muss jemand vor dem Gebäude gewartet haben, der gesehen hat, wie ich herausgelaufen bin, und mir dann gefolgt ist, als ich auf die Bomben zurannte …
    Als wir uns letzte Nacht in den Armen hielten, haben wir uns ausgesprochen.
    ICH: Ich habe immer noch den Ring – unseren Ring …
    BLANCHE: Was willst du mir damit sagen, Liebster?
    ICH: Dass wir, du weißt schon, dass wir die Verlobung besser nicht gelöst hätten.
    BLANCHE: Soll ich das etwa als neuen Heiratsantrag werten?
    ICH: Ja. Sag bitte ja. Ich bin ein Vollidiot. Du hast mir gefehlt – ich war wie betäubt, wie im Koma.
    Danach haben wir uns geküsst. Und dann bin ich aufgestanden und habe den Ring aus der Innentasche meiner Jacke geholt.
    ICH: Ich habe ihn immer bei mir. Als Glücksbringer.
    BLANCHE: Hast du denn so viel Glück gebraucht, seit wir uns getrennt haben?
    ICH: Du machst dir keine Vorstellung. Eines Tages werde ich dir alles erzählen. Dabei fällt mir ein: Was ist eigentlich mit Ashburnham?
    BLANCHE: Ashburnham zählt nicht. Ich habe ihn aus meinem Leben verbannt.
    ICH: Das höre ich gern. Ich musste dich einfach nach ihm fragen.
    BLANCHE [den Ring überstreifend]: Sieh mal, er passt immer noch. Das ist ein gutes Zeichen.
    ICH: Und es wird dir nichts ausmachen, Mrs Lysander Rief zu sein? Und nicht mehr Miss Blanche Blondel?
    BLANCHE: Immer noch besser als mein richtiger Name. Geboren bin ich als [mit Yorkshire-Akzent] Agnes Bleathby.
    ICH [mit Yorkshire-Akzent]: Mann, was es nicht alles gibt. Da staunst du, Agnes, was?
    BLANCHE: Wir spielen schließlich alle Theater, oder nicht? Fast pausenlos – jeder von uns.
    ICH: Aber nicht jetzt. Ich jedenfalls nicht.
    BLANCHE: Ich auch nicht. [Küsst ihren neuen alten Verlobten.] Trotzdem schön, dass du und ich zumindest davon leben können. Komm her, du.
    Ich habe ein Telegramm aufgesetzt – auf dem Weg zur Arbeit werde ich es in einem Telegraphenamt aufgeben. Jetzt ist alles anders.
    LIEBE VENORA TRAURIGE NACHRICHT STOP DEINE TANTE UNPÄSSLICH LONDON FÄLLT LEIDER FLACH STOP ANDROMEDA
    Pro Wort habe ich einen halben Penny bezahlt. Vermutlich die bestangelegten sieben Pennies meines Lebens.

15. Ein Dutzend Austern und einen halben Liter Rheingauer Weißwein
    Lysander maß die

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