Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
Vom Netzwerk:
Zeit, die er für den Weg vom Trevelyan House zum Gebäude am Embankment brauchte: gut fünf Minuten, wenn er zügig ging. Zunächst freute er sich über die Geld- und Zeitersparnis, die eine solche Nähe zu seinem Arbeitsplatz mit sich brachte, bis ihm jäh einfiel, dass seine Tage in der Verschickungsabteilung sicher gezählt waren. Die Dinge spitzten sich in rasendem Tempo zu – dennoch hatte er einen letzten Trumpf auszuspielen.
    Er hatte gerade die Nadel der Kleopatra passiert und wollte die Straße überqueren, als Munro ihm entgegenkam. Zu viele Zufallsbegegnungen, dachte Lysander – erst Fyfe-Miller, nun Munro. Offenbar wurde man in Whitehall Court zunehmend nervös.
    »Welch freudige Überraschung.«
    »Zynismus passt nicht zu Ihrer herzlichen, offenen Persönlichkeit, Rief. Wollen wir einen Kaffee trinken, bevor Sie sich in die Mühle begeben?«
    Unter der Eisenbahnbrücke gab es einen Kaffeeausschank. Munro bestellte zwei Becher, während Lysander sich eine Zigarette anzündete.
    »Ziemlich übler Angriff, gestern«, bemerkte Munro.
    »Warum können wir so ein Riesenteil nicht abschießen? Das will mir nicht in den Kopf. Gibt eine gute Zielscheibe ab, bei der Größe, und leuchtet auch noch am Himmel.«
    »In ganz London gibt es nur eine einzige Luftabwehrkanone mit einer Reichweite von zehntausend Fuß, und die gehört den Franzosen.«
    »Könnten wir uns nicht ein paar mehr von ihnen borgen? Die Zeppeline kommen garantiert wieder, meinen Sie nicht?«
    »Darüber sollen sich andere den Kopf zerbrechen, Rief. Wir haben schon genug eigene Sorgen. Ich würde gern einen Ihrer Sargnägel probieren, danke.«
    Nachdem Lysander ihm eine Zigarette und Feuer gegeben hatte, war Munro ein Weilchen damit beschäftigt, sich Tabakkrümel von der Zunge zu zupfen. Offensichtlich kein geübter Raucher, er tat es nicht aus Genuss, sondern zur Pose.
    »Wie kommen Sie voran?«, fragte Munro schließlich.
    »Langsam, aber sicher –«
    »– kommt man auch ans Ziel, was? Machen Sie nicht zu langsam. Haben Sie einen Verdächtigen?«
    »Mehrere. Ich möchte mich sicherheitshalber noch nicht festlegen. Um jeden Irrtum auszuschließen.«
    Munro verzog das Gesicht.
    »Sie können nicht erwarten, dass wir Ihre redliche Vorsicht noch lange tolerieren, Lysander. Sie haben hier einen Auftrag zu erledigen. Kriegen Sie den Arsch endlich hoch.«
    Aus irgendeinem Grund war Munro plötzlich sehr verärgert. Lysander war der gönnerhafte Gebrauch seines Vornamens nicht entgangen.
    Er versuchte, ruhig zu bleiben, und antwortete: »Ich will Ihre Geduld nicht strapazieren. Wenn meine Nachforschungen aber nach reiner Routinearbeit aussehen sollen, muss ich entsprechend behutsam vorgehen. Es wäre ganz gewiss nicht in Ihrem Sinn, wenn ich jemanden aufscheuchen oder Ihnen den falschen Täter präsentieren würde, bloß um ein bisschen Zeit zu gewinnen.«
    Während Munro das auf sich wirken ließ, gewann er sichtlich die Fassung zurück. Mit der gewohnten, kaum verhohlenen Herablassung sagte er: »Ja … Nun gut … Offenbar haben Sie Osborne-Ways Reisekostenabrechnungen aus dem Kriegsministerium angefordert.«
    »Ja.« Lysander ließ sich die Verblüffung tunlichst nicht anmerken. Woher wusste Munro das? Die Frage war schnell zu beantworten – Tremlett natürlich. Munros Augen und Ohren in der Verschickungsabteilung. Oder besser Auge und Ohren. Von nun an würde er sich vor dem doppelzüngigen Tremlett in Acht nehmen. »Osborne-Way hat Zugang zu ausnahmslos allen Informationen, die in den Glockner-Briefen standen, er–«
    »Dazu hatten Sie kein Recht.«
    »Dazu hatte ich jedes Recht.«
    »Osborne-Way ist nicht Andromeda.«
    »Wir dürfen uns nicht zu sicher wähnen. Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
    Munro schien sich über diese Antwort wieder zu ärgern – warum war er nur so reizbar? Lysander beschloss, das Thema zu wechseln.
    »Kürzlich habe ich Florence Duchesne gesehen.«
    »Ich weiß.«
    »Ist sie noch in London?«
    »Leider ist sie schon abgereist.«
    »Oh. Tja, ich hätte sie gern wiedergesehen.« Lysander verspürte ein kurzes, aber heftiges Bedauern – vielleicht war ihm etwas entgangen. Unerklärlicherweise hatte er den Eindruck gehabt, sie sei seine einzige wahre Verbündete. Sie waren gut miteinander ausgekommen; sie befolgten beide Befehle, deren Quelle sie weder kannten noch identifizieren konnten. Sie waren Marionetten – das schweißte sie zusammen … Er musterte Munro, der wie ein Mädchen paffte. Angriff

Weitere Kostenlose Bücher