Eine große Zeit
bei einem pensionierten Lehrer, einem gewissen Herrn Fuchs, der nur wenige Straßen entfernt wohnte.
Jeden Tag besuchte er eins von Wiens unzähligen Museen, ging in die Oper und ins Konzert, sah sich Ausstellungen in Kunstgalerien an und streifte mit seinem Reiseführer durch die Stadt; von den Kirchen, die darin Erwähnung fanden, ließ er keine einzige aus. Ab und zu unternahm er einen Tagesausflug, um die Trampelpfade im Wienerwald zu erkunden oder über Bergpfade zu fernen Gipfeln zu gelangen, in einer Hand die Landkarte, in der anderen einen Wanderstab aus robuster Esche.
Wolfram verließ schließlich doch noch die Pension – zu Frau K’s unverhohlener Freude – , um mit seinem Regiment großangelegte Feldübungen in Galizien durchzuführen. Der Abschied stimmte sie beide traurig, aber Lysander und er wollten den Kontakt aufrechterhalten, und wenn sie noch so unterschiedliche Lebenswege einschlügen. Wolfram versprach hoch und heilig, ihn bei seinem nächsten Urlaub zu besuchen – »Und dann gehen wir zum Spittelberg hinauf, besaufen uns und suchen uns zwei lustige Mädels.«
Der Gast, der auf ihn folgte, war ein Ingenieur mittleren Alters namens Josef Plischke. Wortkarg, steif und etwas aufgeblasen, war er der ideale Tischgefährte für Frau K. Lysander gab die Halbpension auf und behielt nur das Frühstück bei, als Grund gab er einen wirtschaftlichen Engpass an und nicht etwa, dass er sonst Gefahr liefe, sich zu Tode zu langweilen. Leider müsse er den Gürtel enger schnallen, erklärte er Frau K, und das entsprach durchaus der Wahrheit – sein Geld ging zur Neige. Seine Affäre mit Hettie war kostspielig – er kam für alles auf, da sie finanziell voll und ganz von Hoff abhing. Dieser war, wie Lysander nun erfuhr, erstaunlich wohlhabend, nicht nur, weil seine verstorbenen Eltern ihm einiges hinterlassen hatten, sondern auch, weil seine Werke immer höhere Preise erzielten.
Lysander schickte seiner Mutter ein Telegramm mit der Bitte, ihm noch einmal zwanzig Pfund zu überweisen.
Im Dezember brach der Winter mit voller Wucht ein – schwerer Frost und Schneegestöber – , und so imposant der Ofen in der alten Scheune auch war, ließ er als Wärmequelle zu wünschen übrig. Wenn Lysander bei Hettie war, zerrte er die Matratze vom Bett, schleifte sie ins Atelier und legte sie vor den Ofen, durch dessen offene Doppeltür man die Flammen tanzen sah.
Hettie entdeckte in Hoffs Bibliothek einen Band mit erotischen japanischen Farbholzschnitten und brachte ihn mit, sodass sie und Lysander in der Scheune experimentieren konnten. Sie nahm seinen Penis in den Mund. Er scheiterte bei dem Versuch, sie von hinten zu nehmen. Gemeinsam probierten sie, die verdrehten Positionen nachzustellen, und studiertendie Bilder so aufmerksam wie Architekten einen Bauplan.
»Du sollst das Bein über meine Schulter legen, nicht unter meine Achsel.«
»Aber dann breche ich mir das Bein.«
»Ich kann dich nicht spüren.«
»Du bist zu weit weg. Ich komme nicht hin.«
Sie bestand immer noch darauf, ihn auszuziehen, besonders liebte sie, wie sie sagte, den Moment, wenn sie ihm Hose und Unterhose herunterriss und seinen »kleinen Freund« befreite.
Einmal sagte sie zu ihm, als sie gerade in ihrem schäbigen Hotel am Donaukanal im Bett lagen: »Warum küsst du nie meine Brüste? Andere Männer stürzen sich darauf.«
Lysander dachte: Um ja keine Anorgasmie zu riskieren. Laut sagte er: »Ich weiß auch nicht warum … Vielleicht kommt mir das etwas kindisch vor.«
»Kindisch ist doch nicht verkehrt. Komm her.«
Sie setzte sich im Bett auf und winkte ihn heran. Folgsam schmiegte er sich an sie. Sie nahm eine Brust in die Hand und bot ihm die Warze keck mit zwei Fingern dar.
»Siehst du? Ist doch schön.«
Hettie wollte unbedingt, dass er an der Silvesterfeier in Hoffs Atelier teilnahm. Lysander sträubte sich zunächst, aber sie setzte alles daran, ihn zu überreden.
»Wenn du kommst, schöpft er erst recht keinen Verdacht. Er hat ohnehin nicht die leiseste Ahnung. Du musst einfach kommen – um Mitternacht will ich dich küssen.«
Also fügte sich Lysander und fühlte sich bei dieser lärmenden Zusammenkunft von Künstlern, Mäzenen und Galeristen fehl am Platz. Er drückte sich in den Ecken des geräumigen Ateliers herum und begnügte sich mit Hetties Anblick, die in balinesischer Wickelhose, kariertem Jackett und Glöckchenschuhen ihre Runden drehte. Udo Hoff wusste offenbar nicht mehr, wer er war – jedes Mal, wenn
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