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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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ermunterte sie, nach Belieben mit dem Ring zu verfahren, den er ihr geschenkt hatte – sie könne ihn in die Themse werfen, verkaufen, einer Nichte oder Patentochter vermachen –, was immer ihr am passendsten erschiene. Er würde ihre Schönheit und liebevolle Art stets in Erinnerung behalten und bedauere zutiefst, dass ihn diese »widrigen Umstände« daran hinderten, ihr ergebener Gatte zu werden.
    Lysander versiegelte den Umschlag mit gemischten Gefühlen – Schuldbewusstsein, Trauer und überschwänglicher Freude sowie leiser Selbstzufriedenheit, weil er dem falschen Spiel so schnell ein Ende bereitet hatte. Hinzu kam ein erhebendes Moment der Erlösung. Er war nun ein freier Mann – seine leidige Anorgasmie gehörte der Vergangenheit an, war nurmehr eine schlimme Erinnerung. Und aus der Liaison mit Miss Bull konnte alles Mögliche werden. Er nahm sich jedoch vor, keine Zukunftspläne zu schmieden, ehe er sie wiedergesehen hatte. Seine Aufregung speiste sich schließlich auch aus einem echten Gefühl von Bedrohung – in den Kulissen lauerte ein betrogener Liebhaber – , ganz abgesehen von Hetties heftigen Stimmungsschwankungen (er hatte sie selbst miterlebt – er blendete sie keinesfalls aus). Doch das Einzige, woran er im Augenblick denken konnte, war der nächste Mittwoch.
    Beim anschließenden Abendessen sagte Wolfram zu ihm: »Offenbar bist du allerbester Laune, Lysander.«
    »Das bin ich in der Tat«, gestand er. »Jetzt weiß ich nämlich, dass diese Wienreise das Beste ist, was ich jemals unternommen habe.«
    »Das höre ich gern, Herr Rief«, sagte Frau K. »Ich war schon immer der Meinung, dass Wien die angenehmste Stadt Europas ist.«
    »Der Welt«, fügte Lysander hinzu. »Die angenehmste Stadt der Welt.«

19. Der Bogen einer Liebesaffäre
    Ende September arrangierten Lysander und Hettie ein langes gemeinsames Wochenende in Linz. Sie reisten getrennt an und buchten, um den Schein zu wahren, jeder ein Zimmer im Hotel Goldener Adler. Hettie hatte Hoff erzählt, sie wolle sich einen Marmorflöz ansehen, der in einem Steinbruch bei Urfahr ausgegraben worden war. Ihren Worten nach schien er nicht den kleinsten Verdacht zu schöpfen.
    Lysander rechnete mit einer ganz anderen Art von Zusammensein als in Wien. Die geraubten Nachmittage und seltenen Nächte in der Scheune waren stets von einer gewissen Anspannung getrübt – der Furcht, ertappt zu werden. Die Gefahr drohte nicht allein von Hoff – es konnte genauso gut ein Nachbar oder ein Freund sein, der unangekündigt vorbeikam. Wenn sie nun zwei ganze Liebesnächte miteinander verbrachten, würde sich das sicher auf ihre Stimmung auswirken. Alles wäre wie neu. Lysander war von dieser Aussicht entzückt, während Hettie zunächst merkwürdig gereizt und nervös schien. Zum ersten Mal sah er sie Bensimons Medizin spritzen. Erst schüttete sie etwas weißes Pulver aus einem kleinen Umschlag in ein Glas Wasser, dann zog sie die Lösung in ihrer Spritze auf und injizierte sie mit geübtem Griff in eine Vene ihrer Ellbogenbeuge.
    »Was ist das?«
    »Coca.«
    »Tut es weh?«
    »Überhaupt nicht. Es beruhigt mich«, erklärte sie. »Es gibt mir mehr Selbstvertrauen.«
    »Es ist aber doch kein Morphium, oder?«
    »Du kannst es in der Drogerie kaufen. Allerdings musst du dann Namen und Adresse hinterlegen, und das will ich nicht, darum lasse ich es mir von Dr. Bensimon geben. Seins ist ohnehin von besserer Qualität, sagt er jedenfalls.«
    Es wirkte im Handumdrehen. Kurz danach lächelte sie wieder und küsste ihn. Sie erzählte, sie habe sich vor ihrer Abreise »bis aufs Blut« mit Hoff gestritten und sei deswegen so verstört gewesen. Im Zug nach Linz sei sie auf die fixe Idee gekommen, dass sie verfolgt werde, und habe dann vom Bahnhof zum Hotel einen riesigen Umweg gemacht, um ihren etwaigen Verfolger abzuschütteln.
    »Ich war mit den Nerven völlig am Ende«, erklärte sie. »Und jetzt nicht mehr. Jetzt bin ich die Ruhe selbst. Siehst du? Möchtest du es mal probieren?«
    Lysander nahm sie in die Arme. »Noch mehr Glück halte ich nicht aus, sonst platze ich.« Er küsste sie. »Du bist meine Medizin, Hettie. Ich brauche keine Drogen.«
    »Dr. Freud verwendet ebenfalls Coca«, rechtfertigte sie sich. »So hat Bensimon überhaupt davon erfahren.«
    Sie schlenderten die Donaupromenade entlang und aßen Linzer Torte im Volksgarten, wo eine Kapelle Marschmusik spielte. Als sie wieder in Lysanders Zimmer waren – das größere der beiden – ,

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