Eine große Zeit
vor. »Im Französischen ist das h stumm.«
Fyfe-Miller lächelte ohne eine Spur von Verlegenheit.
» Quel hhhorreur. Man versteht mich durchaus. Mehr will ich gar nicht.«
Am Bahnhof von Amiens nahmen sie Abschied.
»Viel Glück«, sagte Fyfe-Miller. »Bisher läuft alles nach Plan. In Paris dürfen Sie nicht trödeln – zum Umsteigen haben Sie vierzig Minuten. In Lyon werden Sie von Massinger erwartet.«
»Wo ist Munro?«
»Gute Frage … In London, glaube ich.«
Lysander fuhr nach Paris, dann mit dem Nachtzug nach Lyon, erster Klasse – wohl das Vorrecht eines Eisenbahningenieurs. Er war in einem Abteil mit zwei französischen Obersten, die ihn mit offener Verachtung straften und keines Wortes würdigten. Das bekümmerte ihn nicht. Lysander döste ein und träumte von den beiden Fernmeldern, die entgeistert zu ihm aufgeblickt hatten, als er die Granaten in den Verbindungsgraben schleuderte. Als er im Morgengrauen aufwachte, waren die Obersten weg.
Im Bahnhof von Lyon drängten sich französische Truppen, die zur Front fahren sollten. Lysander fiel ein, dass die Front tatsächlich nicht weit entfernt war, sie erstreckte sich über die Ardennen und die Champagne hinaus, bildete einen Bogen von der Nordsee bis zur Schweizer Grenze, eine mäandernde, rund 750 Kilometer lange Linie. Davon wurden etwa 75 Kilometer von der britischen Armee kontrolliert. Massinger erwartete ihn im Bahnhofsrestaurant und trank dabei Bier. Sie fuhren mit dem Bummelzug nach Thonon am Südufer des Genfersees, dann quartierten sie sich im Hôtel de Thonon et Terminus ein, das praktischerweise in Bahnhofsnähe in der Unterstadt lag.
Massinger war gereizter Stimmung und fühlte sich offenbar unbehaglich. Als Lysander ihm von seiner nervenaufreibenden Nacht im Niemandsland erzählen wollte, schien der Oberst nur mit halbem Ohr hinzuhören, als hätte er Wichtigeres im Kopf. »Ach so. Was Sie nicht sagen. Ist ja fürchterlich.« Lysander ging nicht weiter ins Detail, erwähnte weder die Granaten, die er geschleudert, noch den Sonnenaufgang über den deutschen Linien, den er beobachtet hatte, als er inmitten von Binsen im Abflussgraben kauerte.
Beim Abendessen war die Atmosphäre nach wie vor gezwungen und angespannt, als hätten sie nur zufällig Bekanntschaft geschlossen, weil sie das Pech hatten, die zwei einzigen Engländer in einem französischen Städtchen zu sein. Sie waren höflich, sie täuschten Geselligkeit vor, aber es lag auf der Hand, dass beide viel lieber allein gegessen hätten.
Wenigstens konnte Massinger ihm weitere Informationen und Anweisungen zu seiner Mission geben. Sobald Lysander in Genf angekommen war und sein Hotelzimmer bezogen hatte, sollte er zweimal täglich ein bestimmtes Café aufsuchen, um 10.30 Uhr und dann wieder um 16.30 Uhr, und dort jeweils eine Stunde bleiben. Früher oder später würde ihn Agent Freudenfeuer ansprechen, sie würden das Doppelkennwort austauschen und dann gäbe es neue Anweisungen, falls Agent Freudenfeuer die Zeit für reif hielt.
»Freudenfeuer hat das Heft also fest in der Hand«, sagte Lysander unbedacht.
»Freudenfeuer ist zurzeit vermutlich unser wichtigster Trumpf, und zwar für unseren gesamten Spionagekrieg«, entgegnete Massinger in feindseligem Ton, so dass seine Reibeisenstimme noch harscher klang als gewohnt. »Freudenfeuer liest die komplette ein- und ausgehende Korrespondenz der deutschen Botschaft in Genf. Was meinen Sie wohl, wie wertvoll das für unsere Zwecke ist? Na?«
»Äußerst wertvoll, würde ich meinen.«
»Ich muss mich darauf verlassen können, dass Sie sich zu den genannten Zeiten in der Taverne des Anglais einfinden, morgens wie nachmittags.«
»Taverne des Anglais? Ist das nicht ein bisschen zu offensichtlich?«
»Das ist eine ganz unscheinbare Brasserie. Was hat ein Name schon zu besagen?«
Beim Essen schwiegen sie. Lysander hatte einen Fisch bestellt, dessen lokale Bezeichnung ihm unbekannt war, und bekam ein zerkochtes, fades und wässriges Etwas serviert. Massinger hatte ein Kalbskotelett genommen, das allem Anschein nach sehr zäh war, so wie der Oberst daran herumsäbelte.
»Da gibt es eine Sache, die mir keine Ruhe lässt, Massinger.«
»Was denn?«
»Ich soll doch diesen Beamten bestechen … Aber was ist, wenn er sich nicht bestechen lässt?«
»Wird er. Garantiert.«
»Lassen Sie uns bitte einmal vom unwahrscheinlichen Fall ausgehen, dass er es nicht tut.«
»Dann hacken Sie ihm die Finger ab. Einen nach dem anderen. Das
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