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Eine Hand voll Asche

Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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›Nachher‹-Version sehen?« Sie zeigte auf den anderen Einäscherungsofen, und ich trat vier Schritte nach rechts. Sie öffnete die Tür, und ich spürte eine Hitzewelle, als die Tür nach oben glitt. Auf dem Betonboden lag in perfekter anatomischer Anordnung ein menschliches Skelett. Die Knochen waren gräulich weiß und sahen spröde aus, vollkommen mineralisiert. Bis auf den Schädel, der zur Seite gerollt und in mehrere große Stücke zerbrochen war, und den Brustkorb waren die Knochen intakt und in ihrer ursprünglichen Position. »Ich hätte sie nicht schöner anordnen können«, sagte ich.
    Sie lächelte. »Die meisten Menschen glauben, wenn eine Leiche eingeäschert wird, kommt sie als Kremate aus dem Ofen«, sagte sie. »Sie haben keine Ahnung, dass man das Skelett immer noch gut erkennen kann.« Sie griff mit einer behandschuhten Hand hinein, zog einen Humerus heraus und fuhr damit durch die Luft. »Ich finde es immer faszinierend, mir Skelette anzusehen«, sagte sie. »Jedes ist anders. Das hier, zum Beispiel, war eine sehr dicke Frau. Um die hundertfünfzig Kilo. Bei ihr musste ich sehr auf die Temperatur achten.«
    Ich überlegte einen Augenblick. »Wegen des Fetts?«
    »Richtig. Die Lektion habe ich vor langer Zeit schon gelernt. Ungefähr sechs Monate nachdem ich hier angefangen hatte zu arbeiten kriegte ich einen Riesen von einem Kerl rein – er wog mindestens zweihundertfünfzig Kilo und passte kaum in den Einäscherungsofen. Es war spät an einem Dezembernachmittag, wenige Tage vor Weihnachten, und gegen fünf Uhr wurde es dunkel. Also, eine halbe Stunde, nachdem ich ihn in Brand gesetzt hatte, klopfte ein Typ von der anderen Straßenseite an die Tür und fragt mich, ob ich wüsste, dass mein Schornstein rot glühte. Ich ging raus, um nachzusehen, und er glühte tatsächlich kirschrot.«
    »Bei einem Körpergewicht von zweihundertfünfzig Kilo waren sicher hundertfünfzig oder zweihundert Kilo Fett«, sagte ich. »Das gibt ein teuflisches Inferno, sobald das Fett schmilzt und sich entzündet.«
    »Das können Sie laut sagen«, sagte sie. »Ich bin reingerannt und habe die Temperaturanzeige überprüft. Normalerweise arbeiten diese Öfen bei Temperaturen zwischen achthundertfünfzig und tausend Grad. Der Typ hat es auf über tausendfünfhundert Grad gebracht. Ich hatte Glück, dass das Dach nicht Feuer gefangen hat. Die Lektion habe ich gelernt.«
    »Und wie sorgen Sie dafür, dass das nicht noch einmal passiert?«
    »Bei den wirklich Korpulenten bringe ich das Feuer in Gang und drossele dann die Gaszufuhr. Sobald das Fett brennt, brennen sie auch so eine Weile. Nach ungefähr fünfundvierzig Minuten – sobald ich sehe, dass die Temperatur knapp unter neunhundert Grad sinkt –, zünde ich für fünfzehn bis zwanzig Minuten noch einmal den Hauptbrenner ein. Das reicht, um sie gänzlich zu verbrennen.«
    »Wo wir gerade vom Einäschern korpulenter Leichen reden«, sagte ich, »das wird Sie interessieren.« Es gab nicht viele Menschen, zu denen ich das Folgende in aller Ernsthaftigkeit hätte sagen können. »Wir hatten vor einigen Jahren eine Studentin, die eine Magisterarbeit über spontane menschliche Selbstentzündung geschrieben hat.«
    Sie brach in schallendes Gelächter aus. »Was hat sie zu Forschungszwecken gelesen?«, johlte sie. »Die Weekly World News? «
    »Eigentlich war es eine sehr gute Arbeit«, versetzte ich. »Eine der besten, die ich je gelesen habe. Nicht nur Leser von Boulevardzeitungen glauben an die spontane Selbstentzündung. Ich habe mit mehreren Polizeibeamten und Feuerwehrmännern gesprochen, die schwören, Fälle von Selbstentzündung gesehen zu haben – Leichen, die vollkommen verbrannt waren, ohne dass die Umgebung oder die Möbel nennenswerten Schaden genommen hatten.« Helen nickte strahlend, und ich sah ihr an, dass sie fasziniert war. »Wie auch immer, Angi – die Studentin – fand heraus, dass in allen Fällen, wo jemand in Flammen aufgegangen zu sein schien, der Mensch übergewichtig gewesen war, und dass es zu einem Schwelbrand gekommen war. Die Leichen haben ein oder zwei Tage geschwelt, das Feuer hatte nicht so heiß gebrannt, dass es sich hätte ausbreiten können.«
    »Und was hatte die Brände ausgelöst?«
    »Viele waren Raucher, also haben sie wahrscheinlich eine Zigarette auf ihre Kleider fallen lassen«, sagte ich. »Eine Frau geriet mit ihrem Ärmel zu nah an den Brenner eines Gasherds. Die Verbrennung geschah nicht spontan und von selbst, es

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