Eine Hand voll Asche
musste eine Zündquelle geben. Alkohol war ein weiterer gemeinsamer Faktor – einige waren betrunken, andere schliefen, sodass sie es nicht bemerkten oder nicht schnell genug reagierten, als ihre Kleider oder ihr Bett Feuer fing. Wahrscheinlich starben sie sehr schnell an einer Rauchvergiftung, doch das Feuer schwelte weiter. Das Fett schmolz und wurde von der Kleidung aufgesogen, wie beim Docht einer Kerze oder einer Petroleumlampe.«
»Sie haben recht«, sagte sie, »das ist wirklich interessant.«
»Aber ich lenke Sie ab«, sagte ich. »Zeigen Sie mir, was Sie als Nächstes machen.«
»Das ist ganz einfach«, sagte sie. Von zwei Wandarmen an der Seite des Einäscherungsofens nahm sie ein langstieliges Werkzeug, eine Kreuzung zwischen einem Rechen und einer Hacke: Vorne am Stiel war ein breiter Eisenflansch, vielleicht fünfundzwanzig Zentimeter breit und fünf Zentimeter hoch. Sie schob das Werkzeug durch das Maul des Ofens bis ganz nach hinten durch – bis hinter die Füße der Frau – und machte sich daran, die Knochen nach vorne zu harken, wo sie in einen breiten Trichter fielen, der mir bis dato gar nicht aufgefallen war. Sie machte mehrere Durchgänge mit dem rechenähnlichen Werkzeug, bevor sie es gegen einen breiten Besen mit harten Borsten eintauschte. Sobald sie zufrieden war, dass sie alles in den Trichter gefegt hatte, bückte sie sich und zog unter dem Trichter einen eckigen Metalleimer heraus.
Den Eimer trug sie zu einem Arbeitstisch an einer Wand und schüttete den Inhalt darauf aus. Als Nächstes packte sie einen Eisenblock, rund zwanzig Zentimeter breit und hoch, an seinem U-förmigen Griff und stampfte damit die Knochen klein, fast als wollte sie Kartoffelbrei machen. Als die Knochenstücke noch höchstens fünf Zentimeter groß waren, zog sie den Block seitlich durch die Knochenstücke. Bald standen von der Seite und vom Boden große, dicke Heftklammern ab, und mir wurde klar, dass es ein Magnet war.
»Wo kommen die ganzen Heftklammern her?«
»Aus dem Boden des Transportbehälters«, sagte sie. »Die Seiten und der Deckel sind aus Karton, aber der Boden ist aus Sperrholz, und der Karton ist daran festgetackert.«
»Scheint sinnvoll zu sein, dafür Sperrholz zu nehmen«, sagte ich. »Man will ja nicht, dass der Boden durchweicht und die Leiche rausfällt.«
»Ganz genau«, sagte sie. »Die meisten Leute denken an so etwas gar nicht, aber Sie begreifen es sofort, weil Sie wissen, was passiert, wenn eine Leiche zu verwesen beginnt.«
»Es braucht nicht mehr als ein oder zwei Tage, bis die Flüssigkeiten anfangen herauszusickern«, stimmte ich ihr zu. »Sie fischen die Heftklammern heraus, damit sie nicht in die Urne gelangen?«
»Das«, sagte sie, »und damit sie die Messer der Aschenmühle nicht stumpf machen. Das zeige ich Ihnen gleich.« Sie rührte noch ein wenig in dem Material herum und holte noch einen Reißverschluss und ein paar Knöpfe heraus. »Und hier noch ein Miniaturspielzeug aus einer Cracker-Jack-Packung«, sagte sie und fischte ein kurzes Metallstück mit vier Löchern heraus, in denen jeweils eine verbrannte Schraube steckte. »Sie muss eine Platte im Arm oder Bein gehabt haben«, sagte sie.
»Holen Sie viele orthopädische Prothesen aus der Asche?«
»Immer mehr, wie es scheint.«
»Da die geburtenstarken Jahrgänge allmählich wegsterben«, sagte ich, »wette ich, Sie kriegen in Zukunft noch mehr zu sehen. All die Jogger und Tennisspieler und Skifahrer, die neue Teile brauchen. Was machen Sie mit solchen Dingen?«
»Wir vergraben sie«, sagte sie, »es sei denn, die Angehörigen fragen danach.«
»Wenn also jemand zwei künstliche Kniegelenke hatte und die Angehörigen wollen sie haben, dann schicken Sie sie ihnen zu?«
»Ganz genau«, sagte sie, nahm einen Handfeger, fegte die zerdrückten Knochen zu einem kleinen Hügel zusammen und nahm dann ein großes metallenes Kehrblech von einem Haken über der Arbeitsplatte. In einer schnellen, effizienten Bewegung schob sie das Kehrblech unter die Knochenfragmente, wobei sie sie mit dem Handfeger am Wegrutschen hinderte, zog die Kehrschaufel ungefähr dreißig Zentimeter zurück und kehrte den restlichen Staub sorgfältig darauf.
Am linken Ende der Arbeitsfläche stand ein großer Metalleimer von der Größe und der Form eines Restaurantküchen-Suppentopfs. »Sehen Sie die Messer da unten am Boden?« Ich schaute in das Gefäß und sah ein dünnes, flaches Messer, das mit einem Stift in der Mitte befestigt war. Der
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