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Eine Hand voll Asche

Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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Arm und wies mit einem Nicken in diese Richtung. Er eilte mit forschen Schritten darauf zu, und ich folgte ihm. Als wir den Weg erreichten, sah ich mehrere übereinanderliegende Spuren, einige von Gummireifen, andere von einem Raupenfahrzeug – einem Bulldozer oder einem Radlader. Ich schaute in beide Richtungen und erblickte in einer Lücke zwischen den Bäumen einen rostigen Bulldozer. Gleich dahinter, halb hinter der gelben Planierraupe verborgen, entdeckte ich das kastenförmige hintere Ende eines schwarzen Fahrzeugs. Ich zeigte darauf.
    »Ist es das, was ich vermute?«, fragte Art.
    »Wenn du vermutest, dass es ein Leichenwagen ist«, meinte ich.
    Wir gingen an dem Bulldozer vorbei, und tatsächlich, dahinter stand ein schwarzer Cadillac-Leichenwagen. Ich hatte im Laufe meines Lebens viele Leichenwagen gesehen, doch dieser war der einzige, der mit Staub bedeckt und voller Rostplacken war. Alle vier Reifen waren platt, und die Fenster waren fast undurchsichtig vor Schmutz.
    Ich wedelte eine Fliege weg, die mir um den Kopf summte, und dann noch eine und noch eine. Mir fiel auf, dass auch Art durch die Luft schlug. Dann sah ich, dass das ganze Fahrzeug von Fliegen umschwirrt wurde. Ich ging zum Heck des Wagens, beugte mich vor und schnüffelte. Da wusste ich, warum die Fliegen hier waren. Ich versuchte es am Griff der Heckklappe, fand sie unverschlossen und zog sie auf. Der Gestank, der in einer mächtigen, auf den Flügeln von Tausenden von Schmeißfliegen getragenen Welle aufstieg, war so stark, dass er mich fast umhaute. Im Laderaum des Leichenwagens lag rund ein halbes Dutzend verwester Leichen übereinander.
    Die zuunterst Liegenden waren im Grunde skelettiert, bei denen, die obenauf lagen, war noch weiches Körpergewebe an den Knochen. Bei dieser Hitze und den ganzen Fliegen hieß das, dass die obersten Leichen noch nicht so lange hier liegen konnten, wie der Leichenwagen Staub und Rost und Schmeißfliegen angezogen hatte. Sie waren erst kürzlich hier abgeladen worden. Unter den Leichen, am Boden des Autos, glänzte schwarze, fettige Schmiere, flüchtige Fettsäuren, die während der Verwesung aus den Leichen sickerten. Eine wimmelnde Masse Maden überzog die ganze Sauerei.
    Art war vom Fahrzeug weggetreten, sobald ich es geöffnet hatte, und je mehr Gestank herausdrang, desto weiter zog er sich zurück. »Uff«, sagte er, »ich schätze, jetzt wissen wir, was wir gerochen haben, was?«
    »Schätze schon«, antwortete ich, doch dann kam mir ein beunruhigender Gedanke. »Eigentlich bin ich mir da gar nicht so sicher.« Er sah mich verwirrt an. »Das ist ein Teil dessen, was wir gerochen haben«, erklärte ich ihm, »aber ich glaube nicht, dass das hier für den ganzen Gestank verantwortlich ist. Das Auto war doch zu, richtig?« Er nickte unsicher. »Und wir haben den Gestank erst so richtig bemerkt, als ich die Klappe aufgemacht habe.«
    »Du glaubst, da liegen noch ein oder zwei Leichen am Rand des Grundstücks?«
    »Vielleicht«, sagte ich. »Lass uns mal schauen, wohin die Bulldozer-Spur führt.«
    Hinter dem Leichenwagen führte der unbefestigte Weg durch den Wald dahin, wo ich das Haus oder das Krematorium vermutete. Ich ging in die entgegengesetzte Richtung. Nach wenigen Schritten hatte ich eine weitere Verwesungswolke in der Nase, die von irgendwo vorne kam. Ich folgte meiner Nase, und keine Minute später betrat ich da, wo der Weg in einem größeren Kreis endete, die surrealste Szene meines Lebens.
    Es war, als wäre ich in Bosnien, in Ruanda oder im Irak – irgendwo, wo ethnische Säuberungen oder Massenmorde entfesselt worden waren – in ein Massaker gestolpert. Leichen – Dutzende von Leichen – lagen auf beiden Seiten des planierten Kreises halb verborgen im Wald. Einige waren in Gräben halb verbuddelt; andere steckten hinter Bäumen; wieder andere lagen unter zusammengeschobenen Asthaufen.
    »Das ist sehr, sehr gruselig«, sagte Art.
    »Wenn ich an einem anderen Ort wäre und nicht auf dem Gelände eines Krematoriums«, sagte ich, »würde ich schwören, wir wären dem schlimmsten Serienmörder der Welt auf die Schliche gekommen. Aber so glaube ich, dass wir nur das schlimmste Krematorium der Welt entdeckt haben.«
    Einigen Leichen fehlten Arme und Beine, und mir fiel auf, dass bei etlichen langen Knochen nur noch die Knochenschäfte dalagen, die Enden waren abgebissen. Wenige Leichen waren nackt, die meisten trugen zerfetzte Überreste dessen, was sie wohl einst zur Kirche getragen

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