Eine Hand voll Asche
eleganten Bogen, dann die scharf umrissenen dreieckigen Träger der Gay Street Bridge. Die Nacht war warm und still, und der Fluss war glatt, bis auf sanfte Wirbel und Strudel, erzeugt durch Strömungen, die über Kanten und Höhlungen und anderen geheimnisvollen Konturen tief unter der Wasseroberfläche entstanden. Das dunkle, flache Wasser fing das harte Licht der Straßenlampen auf den Brücken auf, verschmolz und verschmierte es zu Pfützen und Streifen aus Gold und Orange, wie ein Feuerwerk in Zeitlupe. Ich fuhr langsamer, um es zu betrachten, und Miranda meinte leise: »Mhm, schön, nicht wahr? Seltsam, dass so viel Schönheit und so viel Böses in dieser Welt Seite an Seite existieren können, nicht wahr?« Ich antwortete nicht, doch das spielte keine Rolle, denn sie erwartete es im Grunde gar nicht.
Wir fuhren unter der Gay Street Bridge hindurch, kurvten vom Fluss und damit auch von der Schönheit weg und schlängelten uns eine Betonrinne von einer Auffahrt hinauf zur Hill Avenue. Die endlose Asphaltfläche vor dem Polizeirevier von Knoxville trug nicht dazu bei, das grelle Licht der Natriumdampflampen zu mildern, die hier Wache standen; der Asphalt schien die Schärfe der orangefarbenen Lampen eher noch zu reflektieren und zu verstärken. Arts Crown Victoria wartete in der düstersten Ecke des Parkplatzes, das heißt der einzigen Ecke, in der ich mir nicht wünschte, ich hätte eine Sonnenbrille mitgebracht. Als er aus dem Wagen stieg, sah ich, dass er eine Neun-Millimeter-Pistole am Gürtel trug – und ich hatte den Verdacht, dass er an einer oder gar an beiden Waden noch weitere Feuerwaffen festgegurtet hatte.
Art zwängte sich neben Miranda in die Fahrerkabine, und wir rasten östlich auf die I-40 in Richtung Cooke County.
O’Conner hatte mir erklärt, ich solle nach der Abfahrt von der I-40 drei Meilen der River Road folgen, dann nach rechts schauen und mich in Richtung der Flammen halten. Er hatte nicht übertrieben: Ich konnte das Glühen am Horizont schon sehen, bevor wir die Interstate verließen, Die Flammen rollten den Hügel hinauf und verschwanden in waberndem Qualm, wie eine Szene aus Dantes Inferno . Halb erwartete ich, Dämonen und verdammte Seelen zu sehen, die sich in den Flammen wanden. Die Schotterstraße, die sich bergan auf das Brandgebiet zuschlängelte, wurde von einem Fahrzeug des Cooke-County-Sheriffs blockiert, einem schwarzweißen Jeep Cherokee, in dem es mir bei der Arbeit an einem Fall vor einem Jahr oder so einmal speiübel geworden war. Der Signalbalken des Fahrzeugs warf zuckend breite blaue Strahlen in den aufquellenden Rauch.
Ich schaltete die Scheinwerfer aus, hielt neben der Geländelimousine und stieg aus. Als ich näher trat, wurde auf der Fahrerseite das Fenster heruntergekurbelt. »Hallo«, sagte ich in das dunkle Wageninnere hinein, »ich bin Dr. Bill Brockton. Sheriff O’Conner hat mich gebeten …«
Ich wurde von etwas unterbrochen, was wie ein Donnergrollen oder das Knurren eines Bären klang. »Hallo, Doc«, rumpelte eine tiefe Stimme aus dem Fahrzeuginneren. »Jim hat mich runtergeschickt, um Sie abzuholen.«
»Waylon!« Trotz meiner Besorgnis machte sich auf meinem Gesicht ein Lächeln breit.
Ein breiter, struppiger Kopf tauchte am Fenster auf, der Bart wurde von einem schiefen Grinsen geteilt. »Ich hab ein bisschen läuten hören, was Sie so alles am Hals haben, also hab ich’s nicht persönlich genommen. Abgesehen davon haben wir Ihnen ja auch nicht direkt die Bude eingerannt. Ich schätze, wir können Ihnen vielleicht noch mal verzeihen.« Er beäugte meinen Wagen und richtete dann von der Geländelimousine aus einen blendenden Scheinwerfer durch das Beifahrerfenster. »Sind das Art und Miss Miranda da drin? Howdy!«, brüllte er. »Schön, Sie alle zu sehen!« Im Auto schirmten Art und Miranda die Augen mit einer Hand ab und winkten mit der anderen in die ungefähre Richtung von Waylon und seinem Suchscheinwerfer.
Waylon – seinen Nachnamen habe ich nie erfahren – war im wahrsten Sinne des Wortes ein Bergmensch. Er war ein ungeschlachter, schlichter Kerl, der mich während einer Reihe von Abenteuern in Cooke County achtlos in Gefahr gebracht und mir ebenso selbstlos die Haut gerettet hatte. Kürzlich hatte er das Leben als Geächteter gegen die Uniform eines Gesetzesvertreters eingetauscht. »Wie gefällt’s Ihnen, auf der Seite des Gesetzes zu stehen, Waylon?«
Er kicherte. »Hm. Das ist noch nicht entschieden. Jim und ich haben
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