Eine handvoll Dunkelheit
»Dieser Krieg wird zwischen der Erde und den beiden Kolonialplaneten ausgetragen werden. Und die Erde wird ihn verlieren?«
»Unger hat den ganzen Krieg mitgemacht. Er nahm von Anfang bis Ende daran teil – bis zur völligen Zerstörung der Erde.« Patterson trat ans Fenster und blickte hinaus. »Die Erde verlor den Krieg, und die Erdmenschen wurden ausgelöscht.«
Durch das Fenster von V-Stephens’ Büro konnte Patterson die ganze Stadt überblicken. Kilometerweit weiße, in der Sonne glitzernde Häuser. Elf Millionen Menschen. Ein riesiges Handels- und Industriezentrum, der wirtschaftliche Nabel des Systems. Und jenseits davon eine ganze Welt voller Städte und Farmen und Straßen, drei Milliarden Männer und Frauen. Ein blühender, wohlhabender Planet, die Mutterwelt, von der alle Veränderten ursprünglich abstammten, all die ehrgeizigen Siedler auf der Venus und dem Mars. Zahllose Frachter verkehrten zwischen der Erde und den Kolonien, vollgepackt mit Mineralien und Erzen und Industrieprodukten. Und schon krochen die Prospektorenteams über die Oberfläche der äußeren Planeten und steckten im Namen des Direktorats die Claims ab, suchten nach neuen Rohstoffquellen.
»Er sah all das zu radioaktivem Staub werden«, sagte Patterson. »Er sah, wie bei der Schlußoffensive die Verteidigungseinrichtungen der Erde überrannt wurden. Und dann vernichteten sie die Lunabasis.«
»Sie sagten, daß sich einige Militärs bereits auf dem Weg vom Mond zur Erde befinden?«
»Ich habe ihnen genug verraten, um sie aufzuscheuchen. Gewöhnlich dauert es Wochen, bis sich diese Burschen rühren.«
»Ich würde gern diesen Unger sehen«, erklärte V-Stephens nachdenklich. »Gibt es eine Möglichkeit ...«
»Sie haben ihn gesehen. Sie haben ihn wiederbelebt, erinnern Sie sich? Als man ihn gefunden und hierhergebracht hat.«
»Oh«, sagte V-Stephens leise. »Dieser schmierige alte Mann?« Seine dunklen Augen funkelten. »Das also war Unger ... der Veteran des Krieges, den wir führen werden.«
»Des Krieges, den Sie gewinnen werden. Des Krieges, den die Erde verlieren wird.« Abrupt trat Patterson vom Fenster zurück. »Unger hält das hier für einen künstlichen Satelliten, der irgendwo zwischen Uranus und Neptun kreist. Eine Rekonstruktion eines kleinen Teiles von New York – ein paar tausend Menschen und Maschinen unter einer Plastikkuppel. Er hatte keine Ahnung, was wirklich mit ihm geschehen ist. Auf irgendeine Weise muß er zurück in die Vergangenheit gelangt sein.«
»Ich nehme an, die freigewordenen Energiemengen – und vielleicht auch sein verzweifelter Wunsch zu entkommen – sind dafür verantwortlich. Aber selbst dann ist die ganze Angelegenheit phantastisch. Es hat etwas ...« – V-Stephens suchte nach dem richtigen Wort – »... etwas Mystisches an sich. Was, zum Teufel, sollen wir davon halten? Ist es eine Heimsuchung? Ist Unger ein Prophet, vom Himmel gesandt?«
Die Tür öffnete sich und V-Rafia erschien. »Oh«, sagte sie, als sie Patterson entdeckte. »Ich wußte nicht ...«
»Es ist schon in Ordnung.« V-Stephens gab ihr mit einem Nicken zu verstehen hereinzukommen. »Sie erinnern sich an Patterson. Er war mit im Wagen, als wir Sie aufgenommen haben.«
V-Rafia sah viel besser aus als noch vor einigen Stunden. Ihr Gesicht war nicht mehr zerkratzt, ihr Haar wohlfrisiert, und sie trug jetzt einen frischen grauen Pullover und ein Kleid. Ihre grüne Haut funkelte, als sie sich zu V-Stephens gesellte, noch immer nervös und ängstlich. »Ich bleibe hier«, sagte sie zu Patterson. »Ich kann nicht nach draußen, zumindest für die erste Zeit nicht.« Sie warf V- Stephens einen kurzen, bittenden Blick zu.
»Sie besitzt keine Verwandten auf der Erde«, erklärte V-Stephens. »Sie ist als Biochemikerin Zweiter Klasse hierhergekommen und arbeitet in einem Westinghouse-Labor außerhalb Chicagos. Nach New York ist sie zum Einkaufen gekommen, und das war natürlich ein Fehler.«
»Kann sie denn nicht zur V-Kolonie in Denver?« fragte Patterson.
V-Stephens errötete. »Sie wollen wohl keinen weiteren Schwimmfuß hierhaben?«
»Was kann sie tun? Das Krankenhaus ist keine Festung. Und wir haben keinen Grund, sie nicht mit einer schnellen Frachtrakete nach Denver zu schicken. Niemand wird etwas dagegen haben.«
»Reden wir später darüber«, bat V-Stephens gereizt. »Es gibt wichtigere Dinge, um die wir uns kümmern müssen. Sie haben Ungers Papiere überprüft? Sie sind sicher, daß es sich dabei um keine
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