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Eine Handvoll Dunkelheit

Eine Handvoll Dunkelheit

Titel: Eine Handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Vormittags Verkehrs. Hinter ihm richtete sich die kleine, benommene Gestalt auf und sah ihm verwirrt und gekränkt nach. Er wandte den Blick mühsam vom Rückspiegel ab und drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch.
    Als er das Radio kurz einschaltete, gab es nur summende und pfeifende statische Geräusche von sich. Er drehte an der Senderwahl und pegelte das Gerät auf eine andere Radiostation ein. Eine dünne, unsichere Stimme, eine Frauenstimme. Einige Zeit blieben die Worte unverständlich. Dann erkannte er sie und schaltete das Gerät panikerfüllt ab.
    Ihre Stimme. Traurig murmelnd. Wo befand sich der Sender? In Chicago. Der Kreis hatte sich bereits so weit ausgedehnt.
    Er fuhr langsamer. Es hatte keinen Sinn mehr, weiterzurasen. Die Wellen hatten ihn bereits überholt und sich weiter ausgebreitet. Auf Farmen in Kansas … in den baufälligen Häusern kleiner alter Städte am Mississippi … auf den kahlen Straßen der Industriezentren von New England – überall hasteten ganze Schwärme braunhaariger, grauäugiger Frauen.
    Die Wellen würden den Ozean überqueren. Und bald die ganze Erde erfassen. In Afrika würde es seltsam aussehen – Krale voller weißhäutiger junger Frauen, alle vollkommen identisch, die den primitiven Gebräuchen des Jagens und Früchtesammelns nachgingen, Korn zerstampften, Tiere häuteten. Feuer entzündeten und Kleider webten und sorgsam rasierklingenscharfe Messer schnitzten.
    In China … er lächelte leer. Auch dort würde sich ein seltsames Bild bieten. Sie würde merkwürdig aussehen. In dem einfachen, hochgeschlossenen Anzug, dem fast mönchischen Gewand der jungen kommunistischen Kader. Parademärsche über die Hauptstraßen von Peking. Reihe für Reihe schlankbeinige, vollbrüstige Mädchen mit schweren russischen Gewehren. In den Händen Spaten, Hacken, Schaufeln. Kolonnen von stiefeltragenden Soldaten. Flinke Arbeiter mit ihren Spezialwerkzeugen. Alle in der Gestalt des Mädchens, das er zurückgelassen hatte, einen schlanken Arm erhoben, das sanfte, schöne Gesicht ausdruckslos und steinern.
    Er verließ die Schnellstraße und bog in einen Seitenweg ein. Einen Moment später kehrte er wieder um, fuhr langsam, lustlos den Weg zurück, den er gekommen war.
    Auf einer Kreuzung schob sich ein Verkehrspolizist durch die Autoschlangen bis zu seinem Wagen. Er saß aufrecht da, die Hände am Lenkrad, benommen wartend.
    „Rick“, flüsterte sie flehentlich, als sie das Seitenfenster erreichte. „Ist mit dir alles in Ordnung?“
    „Sicher“, nickte er betäubt.
    Sie griff durch das offene Fenster und berührte bittend seinen Arm. Die vertrauten Finger, die rotlackierten Nägel, die Hand, die er so gut kannte. „Ich wollte so gern bei dir sein. Sind wir nicht wieder zusammen? Bin ich nicht zurückgekehrt?“
    „Doch.“
    Kummervoll schüttelte sie den Kopf. „Ich verstehe das nicht“, wiederholte sie. „Ich dachte, alles sei wieder in Ordnung.“
    „Bitte“, stieß sie hervor, „sag mir, was geschehen ist, Rick. Rick, ich bin zurück. Verstehst du denn nicht? Sie haben mich zu früh geholt und mich wieder zurückgeschickt. Es war ein Fehler. Ich werde sie nie wieder rufen – das gehört jetzt der Vergangenheit an.“ Sie folgte ihm durch den Korridor bis zur Treppe. „Ich werde sie nie wieder herbeirufen.“
    Er stieg die Stufen hinauf. Silvia zögerte und sank dann auf der untersten Stufe zu einem erschöpften, unglücklichen Häuflein zusammen, eine winzige Gestalt in der Kleidung des Hausmeisters und mit seinen Nagelstiefeln.
    Er schloß die Wohnungstür auf und trat ein.
    Sein ganzer Körper schmerzte. Benommen schritt er ins Badezimmer – es erschien ihm fremd und unvertraut, ganz anders, als er erwartet hatte. Er füllte das Becken mit heißem Wasser, krempelte die Ärmel hoch und wusch sich Gesicht und Hände mit der dampfendheißen Flüssigkeit. Kurz blickte er auf.
    Es war ein entsetzliches Bild, das ihm der Spiegel über dem Waschbecken bot, ein tränenüberströmtes und verzerrtes Gesicht. Es war nur schwach erkennbar … es schien zu wabern und zu wallen. Graue Augen, schreckerfüllt. Ein zitternder roter Mund, ein bebender Hals, weiches braunes Haar. Das Gesicht starrte ihn bekümmert an – und dann bückte sich das Mädchen vor dem Waschbecken und trocknete sich ab.
    Sie drehte sich um und kehrte müde ins Wohnzimmer zurück.
    Verwirrt zögerte sie, ließ sich dann in einen Sessel fallen und schloß die Augen, krank vor Trauer und

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