Eine Handvoll Dunkelheit
oben und ließ sich dann treiben. Wiseman sah sich nach seiner Beute um. Nichts als die trockenen sommerlichen Weiden, die von den Schafen kahlgeäst worden waren. Einige Heuschrecken. Und auf der Straße eine Kröte. Die Kröte hatte sich in den Schmutz eingegraben; nur ihr Kopf war sichtbar.
Als er sich bückte und seinen Mut sammelte, um den feuchten Kopf der Kröte zu berühren, ertönte dicht neben ihm die Stimme eines Mannes. „Wie gefällt Ihnen das?“
„Gut“, sagte Wiseman. Er atmete tief die nach trockenem Gras riechende Luft ein. „He, sagen Sie, wie unterscheidet man ein Krötenmännchen von einem Weibchen? Durch die Färbung?“
„Warum?“ fragte der Mann hinter ihm.
„Ich habe hier eine Kröte.“
„Kann ich Ihnen für den Bericht einige Fragen stellen?“ wollte der Mann wissen.
„Klar“, nickte Wiseman.
„Wie alt sind Sie?“
Das war leicht zu beantworten. „Zehn Jahre und vier Monate“, erklärte er stolz.
„Wo befinden Sie sich genau in diesem Moment?“
„Draußen auf dem Land, auf Mr. Gaylords Ranch. Wenn mein Vati Zeit hat, nimmt er mich und meine Mutter immer mit hierhin.“
„Drehen Sie sich um, und schauen Sie mich an“, bat der Mann. „Und sagen Sie mir, ob Sie mich kennen.“
Widerstrebend wandte er sich von der halb verborgenen Kröte ab. Er sah einen Erwachsenen mit einem schmalen Gesicht und einer langen, irgendwie unproportionierten Nase. „Sie sind der Mann, der immer das Butangas bringt“, erklärte er. „Von der Butan-Gesellschaft.“ Er blickte sich um, und natürlich stand dort neben dem Butangaslager auch der Lastwagen. „Mein Vati sagt immer, daß Butan sehr teuer ist, aber daß es keine andere …“
Der Mann unterbrach ihn. „Nur um meine Neugier zu befriedigen: Wie heißt die Butan-Gesellschaft?“
„Das steht doch auf dem Lastwagen“, erklärte Wiseman und las die großen, aufgemalten Buchstaben. „Pinario-Butangas-Handelsgesellschaft, Petaluma, Kalifornien. Sie sind Mr. Pinario.“
„Wären Sie bereit zu schwören, daß Sie zehn Jahre alt sind und auf einer Wiese in der Nähe von Petaluma, Kalifornien, stehen?“ erkundigte sich Mr. Pinario.
„Natürlich.“ Jenseits der Weide erhoben sich eine Anzahl baumbewachsener Hügel. Er wollte sie erforschen; er war es leid, hier herumzustehen und zu schwatzen. „Bis später“, sagte er und setzte sich in Bewegung. „Ich habe noch etwas vor.“
Er lief nun, fort von Mr. Pinario, den Kiesweg hinunter. Heuschrecken hüpften davon, flohen vor ihm. Er keuchte und rannte schneller und schneller.
„Leon!“ rief ihm Mr. Pinario hinterher. „Hören Sie auf damit! Bleiben Sie stehen!“
„Ich muß zu diesen Hügeln“, keuchte Wiseman und hastete weiter. Plötzlich traf ihn etwas mit großer Wucht; er stürzte und stützte sich mit den Händen ab, versuchte, sich wieder aufzurichten. In der trockenen Mittagsluft schimmerte etwas; er empfand Furcht und wich davor zurück. Umrisse schälten sich heraus, eine glatte Wand …
„Sie werden diese Hügel nicht erreichen“, sagte Mr. Pinario hinter ihm. „Bleiben Sie besser stehen, wo Sie sind. Oder Sie prallen mit irgendwelchen Gegenständen zusammen.“
Wisemans Hände waren feucht von Blut; er hatte sich beim Sturz geschnitten. Verwirrt betrachtete er das Blut …
Pinario half ihm aus dem Cowboy-Anzug und sagte: „Das ist das ungesundeste Spielzeug, das man sich vorstellen kann. Wenn ein Kind den Anzug auch nur kurze Zeit trägt, wird es nicht mehr in der Lage sein, sich der wirklichen Welt anzupassen. Schauen Sie sich nur an.“
Schwankend dastehend, musterte Wiseman den Anzug; Pinario hatte ihm ihn gewaltsam herunter gezerrt.
„Nicht schlecht“, sagte er mit bebender Stimme. „Er stimuliert offenbar die bereits vorhandenen Weltfluchttendenzen. Ich weiß, daß ich mich unterbewußt immer zu meiner Kindheit zurückgesehnt habe. Zu jener Zeit, in der wir auf dem Land lebten.“
„Beachten Sie, wie Sie real vorhandene Elemente eingebaut haben“, bemerkte Pinario, „um Ihre Phantasiewelt so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Wenn Sie genug Zeit gehabt hätten, wäre es Ihnen auch möglich gewesen, die Laborwand zu integrieren.“
Wiseman stimmte zu. „Ich … habe bereits das alte Molkereigebäude gesehen, in das die Farmer ihre Milch geschafft haben.“
„Früher oder später“, erklärte Pinario, „wäre es so gut wie unmöglich gewesen, Sie da herauszuholen.“
Und Wiseman dachte: Wenn der Anzug so schon auf einen
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