Eine Handvoll Dunkelheit
umsehen.“ Und in der Zwischenzeit, dachte er, WAS IST MIT LOUIS? Werden wir in der Lage sein, ihn wiederzubeleben, oder nicht?
Wenn man den alten Mann wiederbelebte, konnte er seiner Enkeltochter Anweisungen erteilen; selbst wenn er rechtlich und körperlich gesehen tot war, konnte er auch weiter seinen komplexen wirtschaftlichen und politischen Machtbereich bis zu einem gewissen Grad verwalten. Aber im Moment funktionierte dies nicht, und der alte Mann hatte geplant, sofort wiederbelebt zu werden, vor dem demokratisch-republikanischen Parteitag. Sicher wußte Louis – oder hatte er gewußt –, was für einer Sorte Mensch er seinen Besitz vererbte. Ohne Hilfe würde sie es bestimmt nicht schaffen. Und, dachte Johnny, ich kann nicht viel für sie tun. Claude St. Cyr könnte es, aber nach den Bestimmungen des Testamentes ist er endgültig aus dem Rennen. Was bleibt uns also übrig? Wir müssen den alten Louis wiedererwecken, selbst wenn wir dafür jedes Halbleben-Institut in den Vereinigten Staaten, Kuba und Rußland bemühen müssen.
„Du denkst konfuses Zeug“, stellte Sarah Belle fest. „Dein Gesichtsausdruck verrät es.“ Sie schaltete die kleine Nachttischlampe ein und griff nach ihrem Morgenmantel. „Versuche nicht, mitten in der Nacht ernste Probleme zu lösen.“
So muß man sich auch als Halblebender fühlen, dachte er benommen. Er schüttelte den Kopf, um klar zu werden und ganz aufzuwachen.
Am nächsten Morgen parkte er seinen Wagen in der unterirdischen Garage des Beverly und fuhr mit dem Fahrstuhl hinauf in die Halle, wo er am Empfangstisch von dem lächelnden Tagesportier mit einem freundlichen Lächeln begrüßt wurde. Kein sehr eindrucksvolles Hotel, entschied Johnny. Jedenfalls war es sauber; ein respektables Familienhotel, das wahrscheinlich im Monat den Großteil seiner Zimmer vermieten konnte, einige zweifellos an ältere, pensionierte Menschen. Offenbar war Kathy daran gewöhnt, in bescheidenen Verhältnissen zu leben.
Der Portier deutete auf das angrenzende Cafe, als er nach ihr fragte. „Sie werden sie dort beim Frühstück antreffen. Sie sagte, daß Sie kommen, Mr. Barefoot.“
Im Cafe war es voll; er blieb kurz stehen und fragte sich, wer von den Gästen wohl Kathy sein mochte. Das dunkelhaarige Mädchen mit den erstarrten, erfroren wirkenden Gesichtszügen, das in der gegenüberliegenden Ecke saß? Er ging auf sie zu. Ihr Haar, stellte er fest, war gefärbt. Ohne Make-up wirkte sie unnatürlich blaß; ihr Antlitz war ausdrucksstark, als ob sie sehr viel Leid erlitten hatte, und nicht von der Art, die lehrreich oder formend war und einen in einen „besseren“ Menschen verwandelte. Es war reiner Schmerz gewesen, ohne erlösende Aspekte, entschied er, als er sie musterte.
„Kathy?“ fragte er.
Das Mädchen drehte den Kopf. Ihre Augen waren leer; ihr Gesicht vollkommen unbewegt. Mit dünner Stimme sagte sie: „Ja. Sind Sie Johnny Barefoot?“ Als er an den Tisch trat und sich setzte, sah sie ihn an, als würde sie annehmen, er wolle sie anspringen, sich auf sie werfen und – Gott behüte – sexuell mißbrauchen. Als ob sie nichts anderes ist als ein einsames, kleines Tier, dachte er. In einer Ecke zusammengekauert, die ganze Welt vor sich.
Ihre Farbe, oder vielmehr das Fehlen der Farbe, konnte von der Drogensucht herrühren, überlegte er. Aber dies erklärte nicht die Ausdruckslosigkeit ihrer Stimme und den völligen Mangel an Interesse. Und dennoch – sie war schön. Sie besaß hübsche, ebenmäßige Gesichtszüge … wäre noch Leben in ihnen, hätten sie anziehend gewirkt. Und wahrscheinlich war dies einst, vor vielen Jahren, der Fall gewesen.
„Ich habe nur noch fünf Dollar“, erklärte Kathy. „Mein ganzes Geld habe ich für das Hinflugticket und mein Hotel und mein Frühstück ausgegeben. Könnten Sie …“ Sie zögerte. „Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich tun soll. Könnten Sie mir sagen … gehört mir schon etwas? Etwas von dem Besitz meines Großvaters? Damit ich mir davon etwas nehmen kann?“
„Ich werde Ihnen einen Scheck über einhundert Dollar ausstellen“, versprach Johnny, „und Sie können sie mir irgendwann zurückzahlen.“ Er griff nach seinem Scheckheft.
„Wirklich?“ Sie schien verblüfft zu sein, und jetzt begann sie ein wenig zu lächeln?. „Wie vertrauensvoll von Ihnen. Oder wollen Sie mich beeindrucken? Sie waren der PR-Mann meines Großvaters, nicht wahr? Wie sind Sie im Testament bedacht worden? Ich kann mich nicht
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