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Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dahlhoff
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lauter Holzbuden, und jede Menge Leute waren unterwegs: kleine Kinder mit ihren Eltern, größere Kinder, junge Pärchen und ältere Herrschaften. »Möchtest du mit einem Karussell fahren?«, fragte Bernhard. »Mutti hat mir etwas Geld mitgegeben.«
    »Was ist denn ein Karussell?«, fragte ich zurück. Bernhard zog mich hinter sich her, Franz und die Mädchen kamen kaum mit, und dann sahen wir in lauter lachende Gesichter von Kindern, die sich in fliegenden Stühlen durch die Luft drehten. »Das ist ein Kettenkarussell. Sollen wir damit fahren?« Bernhard sah bittend zu mir herunter. »Mutti hat gesagt, ich soll euch nicht allein lassen, also entweder fahren wir alle oder keiner.«
    »Bitte, Monika, sag Ja!«, rief Inge.
    Das Gefühl, durch die Luft zu schweben, berauschte mich. Ich streckte den Kopf in den Fahrtwind und wünschte mir, dass das Karussell gar nicht mehr anhielt. Schau, Papa, jetzt fliege ich wirklich, hätte ich am liebsten laut in den Himmel gerufen. Und für diese wenigen Minuten war ich ein glückliches Kind.
    Wir liefen danach noch von Bude zu Bude, an einem Stand gab es Süßigkeiten, an einem anderen Spielzeug, Tröten und Papierblumen, an wieder einem anderen warfen junge Männer mit Bällen auf Dosen. Und je mehr Dosen umfielen, desto lauter grölte die Gruppe. Eine ganze Weile blieben wir bei dem Glücksrad stehen und schauten zu, wie es gedreht wurde. Die anderen wollten schließlich wieder zum Karussell zurück, aber ich hatte einen Stand mit wunderschön glitzerndem Schmuck entdeckt. Ketten, Ringe und Ohrringe aus Silber und Gold, viele mit glänzenden farbigen Steinen. Ich konnte gerade über die Auslage hinweg schauen und blieb fasziniert stehen.
    »Na, Mädchen, gefallen dir die Ohrringe?«, fragte die Frau in der Bude.
    »Ja, die sind sehr schön!«, sagte ich.
    »Na, dann musst du deinen Eltern sagen, dass sie dir welche kaufen sollen. Oder hast du Geld dabei?«
    »Nein«, sagte ich kleinlaut.
    »Na, dann schau sie dir ruhig genau an, damit du davon erzählen kannst.«
    Vorsichtig strich ich mit einem Finger über den hübschen rosa Stein.
    »Monika, komm endlich!«, rief Bernhard und winkte. Er war mit den anderen schon weitergegangen. In diesem Moment bückte sich die Frau hinter der Theke … und ich griff zu. Die Ohrringe verschwanden in meiner Manteltasche, und ich rannte zu den anderen, die auch nichts bemerkt hatten und endlich zum Karussell zurück wollten. Als wir dort ankamen, gab ich vor, auf die Toilette zu müssen. »Ich geh schon mal nach Hause«, sagte ich zu Bernhard. Er zögerte, ließ mich dann aber allein vorgehen, denn er wusste, dass ich nicht lange einhalten konnte.
    »Mutti, schau mal, was ich habe.« Stolz hielt ich ihr die Ohrringe hin. Die Pflegemutter beugte sich über meine ausgestreckte Hand. »Wo hast du die denn her?«
    »Von der Bude auf der Kirmes.«
    »Und wer hat dir die gegeben?«
    »Ach, die Frau hatte doch so viele … Ich lege sie am besten in mein Fach.«
    »Monika, du hast die doch hoffentlich nicht einfach genommen? Wo ist denn Bernhard? Ihr solltet doch zusammenbleiben.«
    Kaum war die Pflegemutter mit mir auf dem Jahrmarktplatz, hörten wir schon lautes Geschrei und die Stimme von Bernhard. »Ich weiß wirklich nicht, wo sie ist.« Die Frau vom Schmuckstand stand vor ihm, die Hände in die runden Hüften gestemmt. Und als sie mich an der Hand von der Pflegemutter kommen sah, schrie sie auch schon: »Da ist sie ja, die kleine Diebin. Ich hab nur einen Moment weggeschaut, da hat sie teure Ohrringe mitgehen lassen.«
    »Gib der Dame die Ohrringe sofort zurück und entschuldige dich!«, herrschte mich die Pflegemutter in einem Ton an, den ich von ihr noch gar nicht kannte. Meine Kehle war wie zugeschnürt, ich hielt der Frau die Ohrringe zaghaft hin und murmelte: »Tut mir leid.«
    »Die hat geklaut, die hat geklaut!«, rief ein Junge aus der Nachbarschaft und zeigte auf mich.
    »Hab ich gar nicht!«, brüllte ich zurück, und mein Gesicht wurde vor Wut ganz heiß. Aber er hörte nicht auf, und da stürzte ich mich auf ihn und trommelte mit meinen Fäusten auf ihn ein.
    »Wirst du sofort aufhören!« Die Stimme des Pflegevaters herrschte über den Platz. Der Knall, als seine Handfläche auf mein Gesicht traf, rauschte mir noch in den Ohren, als er mich zu Hause die Treppen hinaufzerrte und in der Küche den Siebenzagel herausholte.
    Wenn Bernhard uns nicht so schnell gefolgt wäre und die Pflegemutter herbeigerufen hätte, ich weiß nicht, ob

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