Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)
angezündet, sodass ich mit wenigen Handgriffen und mithilfe von etwas Zeitungspapier, kleinen Holzspalten und Streichhölzern, die ich neben dem Ofen auf einer Ablage fand, ein neues Feuer entfachte. Als die ersten Flammen hochzüngelten, drückte ich die Klappe geräuschvoll zu. Wie ein Echo hörte ich von oben aus der Wohnung eine Tür zufallen. Ich rührte mich nicht und lauschte, doch alles blieb still. Nun räumte ich die Holzreste und Streichhölzer beiseite und wartete noch einen Moment, um sicherzugehen, dass das Feuer nicht wieder ausging. Obwohl ich keine Angst vor Mäusen oder Ratten zu haben brauchte, fühlte ich mich unwohl. Ich rieb mir abwechselnd den rechten, dann den linken Fuß an der Wade des jeweils anderen Beins, als ich meinte, Schritte gehört zu haben.
»Hallo?«, rief ich leise. »Annemarie? Bist du das?« Ich sah in den anderen Kellerraum, in dem die Möbel lagerten, und wunderte mich, weil dort anders als sonst eine Matratze mit einer Decke darüber auf dem Boden lag. Und noch bevor ich mich umdrehen konnte, weil ich wieder Schritte hörte, umfasste mich jemand mit hartem Griff von hinten. Ich roch den Alkohol, sah die schwarzen Locken neben meinem Gesicht, spürte die rauen Lippen. »Nicht, Papa, hör auf!« Verzweifelt versuchte ich, ihn wegzustoßen, aber ich war kraftlos, meine jämmerlichen Versuche wird er nicht einmal bemerkt haben. Vor Angst wie versteinert sah ich zu, wie er mich hochhob und auf die Matratze legte. Ich wimmerte, spürte, dass etwas ganz Fürchterliches passieren würde, konnte aber nichts dagegen tun. Warum nicht? Warum wehrte ich mich nicht? Warum schrie ich nicht laut oder schlug um mich? Doch in dem Moment, als er mir das Nachthemd zerriss und sich laut stöhnend über mich beugte, begannen meine Arme und Beine plötzlich wie von selbst zu strampeln und zu treten. Es war wieder Leben in mir, der Wille, mir selbst zu helfen. Jetzt wollte ich losbrüllen, auch um Hilfe rufen, aber er erstickte meine Stimme mit seiner Hand und zischte: »Lass das! Es wird dich sowieso niemand hören. Und wir wollen doch nicht, dass Mama das hier mitbekommt!« – Mama! Mama, hilf mir doch! Die stummen, hilflosen Rufe verhallten in meinem Kopf, während ich weinend unter ihm lag und er meine Beine auseinanderdrückte und brutal in mich hineinstieß.
Ich hielt eine Hand vor die blutenden Scheide, die andere vor meine Mädchenbrüste. »Das nächste Mal wird es dir besser gefallen«, sagte er, während er sich mit schwerem Atem seine Schlafanzughose wieder anzog. War das wirklich Papa, mein neuer Papa? »Und mach die Decke und die Matratze sauber, bevor du ins Bett gehst. Denk daran, du musst früh raus.« Dann fasste er mich am Kinn, so fest, dass ich nicht wagte, den Kopf wegzuziehen. »Wenn du jemandem davon erzählst, werde ich sagen, dass du lügst. Und wenn du deiner Mutter gegenüber auch nur eine Andeutung machst, werde ich dich bestrafen. Wir werden dich fortschicken. Und glaub ja nicht, dass du in ein Kloster gehen kannst. Die Nonnen werden dich jetzt nicht mehr nehmen.« Damit ließ er mich auf der zerwühlten und blutfeuchten Decke zurück.
Während ich noch weinend dalag, spürte ich zugleich nichts und einen rauschenden Schmerz. Ich konnte nicht begreifen, was passiert war, sah plötzlich noch einmal die großen Mädchenaugen aus dem Soldatenlager, den Soldaten mit der heruntergelassenen Hose, dann Toni über mir, stöhnend, spürte noch einmal die harten, gewalttätigen Stöße. Was hatte ich nur getan? Was hatte ich falsch gemacht? Niemals durfte Mama davon erfahren; überhaupt durfte niemand herausfinden, was geschehen war. Voller Panik rappelte ich mich auf, sank aber noch ein paar Mal kraftlos zurück. Am liebsten hätte ich mich sofort gewaschen, alles abgewaschen, das Blut, die klebrigen Stellen, den Geruch von Toni … Doch zuerst musste ich die Decke und die Matratze säubern. Aber wie? Wie sollte ich die Spuren dieser ekelhaften Sache beseitigen?
Mit den Händen an der Wand abgestützt, schleppte ich mich in den Waschkeller, wo Handtücher und frische Wäsche lagen. Ich klemmte mir ein Gästetuch zwischen die Beine und zog eine Unterhose von der Leine an, dann noch einen frisch gewaschenen Schlafanzug. Dass er noch klamm war, bemerkte ich nicht einmal.
Danach füllte ich einen Eimer mit Wasser aus dem Hahn in der Wand und nahm einen alten Lappen aus der Ecke, in der das Putzzeug stand. Während ich die Flecken aus den alten, abgewetzten Stoffen
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