Eine Handvoll Worte
zuvor gefahren war. Die Fahrt hatte knapp zehn Minuten gedauert; wie schwer konnte es sein, das Haus wiederzufinden? Er würde den Brief vor die Tür legen und wieder gehen. Er wollte gar nicht daran denken, was er machen würde, wenn er in die Stadt zurückkam: Seit dem Morgen brummte sein Körper, nachdem er an seine lange Beziehung zum Alkohol erinnert worden war, in leisem, perversem Verlangen. Bier, drängte er. Whisky. Seine Nieren schmerzten, und er zitterte noch immer ein bisschen. Der Spaziergang, sagte er sich und nickte zwei lächelnden Frauen mit Sonnenhüten zu, würde ihm guttun.
Der Himmel über Antibes war stechend blau, die Strände übersät von Urlaubern, die sich auf dem weißen Sand aalten. Er wusste noch, dass es an diesem Kreisverkehr nach links ging, und sah, dass die Straße, an der vereinzelt Villen standen, ihn in die Berge führte. Hier war er hergekommen. Sie Sonne schien ihm ungnädig in den Nacken und drang direkt durch seinen Hut. Er zog sein Jackett aus und warf es sich über die Schulter.
In den Bergen hinter der Stadt lief dann etwas falsch. Er war an einer Kirche nach links abgebogen, die ihm irgendwie bekannt vorkam, und an einer Bergseite hinaufgegangen. Die Kiefern und Palmen wurden weniger und verschwanden ganz, ließen ihn ohne Schatten zurück, die Hitze prallte von den bleichen Felsen und vom Asphalt ab. Er spürte, wie seine bloße Haut sich spannte, und wusste, dass sie am Abend verbrannt und wund sein würde.
Hin und wieder kam ein Wagen vorbei und schickte einen Kieselregen in den immer tiefer werdenden Abgrund. Am Abend zuvor war ihm die Fahrt so kurz vorgekommen, beschleunigt durch den Duft der wilden Kräuter, die kühle Abendbrise. Jetzt dehnten sich die Meilensteine vor ihm aus, und sein Selbstvertrauen ließ nach, als er wohl oder übel zu der Erkenntnis kam, sich verlaufen zu haben.
Don Franklin hätte seinen Spaß daran, dachte er, als er stehenblieb, um sich mit einem Taschentuch über den Kopf zu wischen. Anthony konnte sich von einem Ende Afrikas an das andere begeben, fand seinen Weg über Grenzen, doch hier stand er nun und hatte sich auf dem Weg über einen Spielplatz von Millionären verirrt, der nur zehn Minuten hätte dauern sollen. Er trat zurück, um einen weiteren Wagen vorbeizulassen, blinzelte dann ins Licht, als dieser mit leisem Bremsgeräusch anhielt. Aufheulend setzte er zu ihm zurück.
Yvonne Moncrieff, die Sonnenbrille auf den Kopf geschoben, lehnte sich aus einem Daimler SP250. »Sind Sie verrückt?«, sagte sie fröhlich. »Sie werden hier oben verbrutzeln.«
Er spähte über sie hinweg und sah Jennifer Stirling am Lenkrad. Sie warf ihm hinter einer überdimensionierten Sonnenbrille einen Blick zu, ihr Haar war hinten zusammengebunden, ihre Miene undurchdringlich.
»Guten Tag«, sagte er und zog den Hut. Plötzlich war er sich bewusst, dass sein zerknittertes Hemd schweißdurchtränkt war und sein Gesicht glänzte.
»Was um alles in der Welt treiben sie hier, Mr O’Hare?«, fragte Jennifer. »Auf der Jagd nach einer heißen Geschichte?«
Er nahm sein Leinenjackett vor der Schulter, griff in seine Tasche und hielt ihr den Brief hin. »Ich … ich wollte Ihnen das hier geben.«
»Was ist das?«
»Eine Entschuldigung.«
»Eine Entschuldigung?«
»Für meine Grobheit gestern Abend.«
Sie machte keine Anstalten, den Brief über ihre Freundin hinweg entgegenzunehmen.
»Jennifer, soll ich?« Yvonne Moncrieff warf ihr einen Blick zu, offensichtlich verstört.
»Nein. Können Sie ihn laut vorlesen, Mr O’Hare?«, fragte sie.
»Jennifer!«
»Wenn Mr O’Hare ihn geschrieben hat, dann bin ich mir sicher, dass er durchaus in der Lage ist, die Worte auszusprechen.« Ihr Gesicht hinter der Sonnenbrille war unbeteiligt.
Er stand eine Weile da, schaute hinter sich auf die leere Straße und hinab auf das ausgedörrte Dorf. »Lieber würde ich …«
»Dann ist es keine große Entschuldigung, oder, Mr O’Hare?« sagte sie süßlich. »Jeder kann schließlich ein paar Wörter hinkritzeln.«
Yvonne Moncrieff schaute auf ihre Hände und schüttelte den Kopf. Jennifers nichtssagende Sonnenbrille war noch immer auf ihn gerichtet, seine Silhouette auf den dunklen Gläsern zu sehen.
Er öffnete den Brief, zog das Blatt Papier heraus und las ihr nach kurzem Zögern den Inhalt vor, seine Stimme auf dem Berg ungewöhnlich laut. Er kam zum Schluss und steckte den Brief wieder in die Tasche. In der Stille, die nur vom leisen Brummen des Motors
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