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Eine Handvoll Worte

Titel: Eine Handvoll Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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eine flüchtige Dankbarkeit, bis der Schmerz eindeutig wurde. Der Arzt hatte ihn gewarnt, dass es schlimmer werden würde, wenn er wieder trank, registrierte er in einem distanzierten, noch immer analytischen Teil seines Verstandes. Mr Robertson wäre dankbar zu erfahren, wie genau seine Voraussage zugetroffen hatte.
    Als er so zuversichtlich war, sich in eine aufrechte Position begeben zu können, ohne sich zu blamieren, schwang er die Beine über die Bettkante und ging vorsichtig ans Fenster, wobei er sich des Geruchs nach abgestandenem Schweiß und den leeren Flaschen auf dem Tisch durchaus bewusst war, Zeugen der langen Nacht, die hinter ihm lag. Er zog den Vorhang einen Spaltbreit auf und sah die glitzernde Bucht unter sich, in blassgoldenes Licht getaucht. Die roten Dächer auf den Hügeln bestanden aus Terrakottaziegeln, nicht aus dem rostfarben angestrichenen Blech der Bungalows im Kongo, ihre Bewohner darunter waren gesunde, glückliche Menschen, die am Ufer entlangschlenderten und miteinander plauderten. Weiße Menschen. Wohlhabende Menschen.
    Er blinzelte. Diese Szene war makellos, idyllisch. Er ließ den Vorhang wieder los, taumelte ins Bad, übergab sich und umfasste dabei kreuzelend die Toilette. Als er wieder stehen konnte, stieg er unsicher in die Dusche und sackte gegen die Wand, ließ das warme Wasser zwanzig Minuten lang über sich laufen und wünschte, es könnte fortspülen, was er durchmachte.
    Komm schon, krieg dich wieder ein.
    Er zog sich an, rief unten an und bestellte Kaffee. Als er sich etwas stabiler fühlte, setzte er sich an den Schreibtisch. Es war fast Viertel vor elf. Er musste sein Manuskript aufgeben, das Profil, an dem er am Nachmittag zuvor gesessen hatte. Er betrachtete seine hingekritzelten Notizen, und dann fiel ihm ein, wie der Abend zu Ende gegangen war. Die Erinnerung kam zögernd zurück: Mariette, die vor dem Hotel zu ihm aufgeschaut hatte und geküsst werden wollte. Seine entschiedene Weigerung, obwohl er noch immer vor sich hin murmelte, was für ein Narr er doch war: Das Mädchen war begehrenswert und wäre leicht zu haben gewesen. Aber er wollte ein bisschen froh wenigstens über etwas sein, was er an dem Abend gemacht hatte.
    Herrgott, Jennifer Stirling, kühl und verletzt, wie sie ihm sein Jackett gereicht hatte. Sie hatte seine gedankenlose, rüde Schimpftirade über sie alle mit angehört. Was hatte er über sie gesagt? Verwöhnte kleine Gattin … keinen eigenen Gedanken im Kopf. Er schloss die Augen. Kriegsgebiete, dachte er, waren einfacher. Sicherer. In Kriegsgebieten wusste man immer, wer der Feind war.
    Der Kaffee kam. Er holte tief Luft und goss sich eine Tasse ein. Er hob den Telefonhörer und bat die Vermittlerin matt, ihn mit London zu verbinden. Dann schrieb er:
    Mrs Stirling,
    ich bin ein grobes Schwein. Gern würde ich Erschöpfung oder eine untypische Reaktion auf Meeresfrüchte vorschieben, aber ich fürchte, es war eine Kombination aus Alkohol, den ich nicht zu mir nehmen sollte, und dem cholerischen Temperament einer gesellschaftlichen Niete. Alles, was es über mich zu sagen gibt, habe ich in meinen nüchternen Stunden bereits gesagt.
    Bitte erlauben Sie mir, mich zu entschuldigen. Wenn ich Sie und Mr Stirling zum Lunch einladen könnte, bevor ich nach London zurückkehre, wäre ich sehr erfreut.
    Ihr beschämter
    Anthony O’Hare
    P.S. Ich füge eine Kopie des Berichts bei, den ich nach London geschickt habe, um Ihnen zu versichern, dass ich mich wenigstens in dieser Hinsicht ehrenhaft verhalten habe.
    Anthony faltete den Brief und steckte ihn in einen Umschlag, den er verschloss und umdrehte. Schon möglich, dass er noch nicht ganz nüchtern war: Er konnte sich nicht erinnern, jemals in einem Brief so ehrlich gewesen zu sein.
    An dem Punkt fiel ihm ein, dass er keine Adresse hatte, an die er den Brief schicken könnte. Leise fluchte er über seine eigene Dummheit. Am Abend zuvor hatte Stirlings Fahrer ihn abgeholt, und an den Rückweg konnte er sich kaum erinnern, bis auf seine diversen Demütigungen.
    Der Empfang vom Hotel war keine große Hilfe. Stirling? Der Portier schüttelte den Kopf.
    »Kennen Sie ihn? Reicher Mann. Wichtig«, sagte Anthony. Sein Mund war noch immer staubtrocken.
    »Monsieur«, erwiderte der Portier matt, »hier ist jeder reich und wichtig.«
    Der Nachmittag war lau, die Luft weiß, beinahe phosphorhaltig unter dem klaren Himmel. Anthony setzte sich in Bewegung und verfolgte die Strecke zurück, die der Wagen am Abend

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