Eine Handvoll Worte
und beinahe musste sie bei diesem Gedanken lachen.
Die Straßen waren gedrängt voll mit Fußgängern, in der zunehmenden Dämmerung gingen die Straßenlaternen an. Jennifer rannte, ihr Koffer schlug gegen ihre Beine, ihr Herz wummerte. Es war fast Viertel vor sieben. Sie stellte sich vor, wie Laurence nach Hause kam und gereizt nach ihr rief, wie Mrs Cordoza sich den Schal umband und bemerkte, dass Madam anscheinend ausgiebig einkaufen war. Eine weitere halbe Stunde würde es dauern, bis er sich richtig Sorgen machte, und bis dahin würde sie bereits am Bahnsteig sein.
Ich komme, Anthony, teilte sie ihm in Gedanken mit, und die Luftblase, die sich in ihrer Brust erhob, hätte Aufregung oder Angst und eine gesunde Mischung aus beidem sein können.
Das endlose Hin und Her der Menschen am Bahnsteig machte einen Überblick unmöglich. Sie verschwammen vor seinen Augen, verwoben sich ineinander und lösten sich wieder, und er wusste nicht mehr, wonach er Ausschau hielt. Anthony stand neben einer schmiedeeisernen Bank, die Koffer zu seinen Füßen, und schaute zum tausendsten Mal auf seine Uhr. Es war kurz vor sieben. Wenn sie kommen wollte, dann wäre sie doch bestimmt schon hier, oder?
Er warf einen Blick auf die Anzeigentafel, dann auf den Zug, der ihn nach Heathrow bringen würde. Krieg dich wieder ein, Mann. Sie wird kommen.
»Nehmen Sie den um sieben Uhr fünfzehn, Sir?«
Der Schaffner stand neben ihm. »Der Zug fährt in ein paar Augenblicken ab, Sir. Wenn es Ihrer ist, dann würde ich Ihnen raten einzusteigen.«
»Ich warte auf jemanden.«
Er spähte am Bahnsteig entlang zur Sperre. Eine alte Frau stand dort und wühlte nach einer längst verlorenen Fahrkarte. Sie schüttelte den Kopf, was vermuten ließ, dass ihre Handtasche anscheinend nicht zum ersten Mal ein wichtiges Dokument verschluckt hatte. Zwei Kofferträger standen plaudernd beisammen. Sonst kam niemand durch.
»Der Zug wartet nicht, Sir. Der nächste geht um Viertel vor zehn, falls Ihnen das hilft.«
Er begann zwischen den beiden schmiedeeisernen Bänken hin und her zu gehen und versuchte, nicht noch einmal auf seine Uhr zu schauen. Er dachte an ihr Gesicht an dem Abend bei Alberto’s, als sie gesagt hatte, dass sie ihn liebte. Darin hatte keine Arglist gelegen, nur Ehrlichkeit. Lügen lag ihr nicht. Er wagte nicht daran zu denken, wie es sich wohl anfühlen mochte, jeden Morgen neben ihr wach zu werden, allein das Hochgefühl, von ihr geliebt zu werden und die Freiheit zu haben, ihre Liebe zu erwidern.
Der Brief, den er ihr geschickt hatte, war wie ein Glücksspiel gewesen, mit dem darin enthaltenen Ultimatum, doch in jener Nacht war ihm klar geworden, dass sie recht hatte: Sie konnten so nicht weitermachen. Die schiere Macht ihrer Gefühle würde sich in etwas Giftiges verwandeln. Sie würden es sich am Ende übel nehmen, dass sie nicht fähig waren, zu tun, was sie unbedingt wollten. Sollte das Schlimmste passieren, sagte er sich immer wieder, hätte er wenigstens ehrenvoll gehandelt. Doch irgendwie glaubte er nicht, dass das Schlimmste eintreten würde. Sie würde kommen. Alles an ihr sagte ihm das.
Wieder schaute er auf seine Armbanduhr und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, sein Blick schoss zu den wenigen Fahrgästen, die noch durch die Sperre kamen.
»Der Umzug wird gut für dich sein«, hatte Don ihm gesagt. »Hält dich aus Schwierigkeiten raus.« Er hatte sich gefragt, ob sein Redakteur insgeheim erleichtert war, ihn in einem anderen Teil der Welt zu wissen.
Hält dich aus Schwierigkeiten raus.
Kann schon sein, hatte er sich geantwortet und ging aus dem Weg, als eine Gruppe eifriger Geschäftsmänner sich an ihm vorbeischob und in den Zug stieg. Mir bleibt noch eine Viertelstunde, um herauszufinden, ob es stimmt.
Es war kaum zu glauben. Kurz nachdem sie zur New Cavendish Street gekommen war, hatte es angefangen zu regnen, der Himmel nahm zuerst ein schmutziges Orange an, dann wurde er schwarz. Wie auf eine stumme Anweisung waren alle Taxis besetzt. Jeder schwarze Umriss, den sie erblickte, hatte sein gelbes Licht ausgeschaltet; irgendein schemenhafter Fahrgast war bereits unterwegs zu seinem Zielort. Sie winkte, bis ihr beinahe der Arm abfiel. »Seht ihr denn nicht, wie dringend es ist?«, hätte sie am liebsten geschrien. » Von dieser Reise hängt mein Leben ab.«
Inzwischen goss es in Strömen, wie ein tropischer Regensturm. Ringsum wurden Schirme aufgespannt, deren Spitzen sich in sie bohrten, während sie
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