Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
gesehen, wie die beiden den Ballsaal verließen und nach oben gingen«, erklärte sie. Plötzlich war Antonia sehr müde. Sie war nicht mal sicher, ob sie dieses Gespräch führen wollte. »Ich hätte nicht so lange bleiben dürfen, aber ich konnte nicht anders. Es ist, als würde man einen wunden Zahn ständig mit der Zunge malträtieren. Und während wir hier sitzen und reden, liegt sie vermutlich in seinem Bett.«
»Das ist anzunehmen«, stimmte ihr Gefährte mit dieser irritierend sanften Stimme zu. »Ich würde meine Braut jedenfalls auf direktem Weg mit ins Bett nehmen.«
Die Fenster ihres Schlafgemachs standen offen, und die Luft strömte feucht vom letzten Regenguss herein. Die Nacht war klar, und zahllose Sterne schimmerten am Firmament. Die Lampe flackerte in der sanften Brise, die die Vorhänge bauschte.
Die geschmackvolle und elegante Einrichtung ihrer Räume übte gewöhnlich eine beruhigende Wirkung auf sie aus, weil es sie daran erinnerte, was sie erreicht hatte, nachdem sie alles verloren hatte. Aber diese neuerliche Zerrüttung war unter Umständen mehr als sie ertragen konnte. Heute Nacht sah sie jedenfalls die samtenen Vorhänge und die ausgesuchten Möbel nicht.
Heute Nacht sah sie nur Leere.
Es machte sie unglücklich, aber sie wusste nur zu genau, was die Marchioness of Longhaven in den Armen ihres Bräutigams erlebte. Seine geübte Zärtlichkeit, die richtige Berührung im rechten Moment, vielleicht sogar den Schatten eines bezaubernden und allzu seltenen Lächelns. Und natürlich durfte die Marchioness in den Genuss unvergleichlicher, bedächtiger Leidenschaft kommen. Selbst mit seiner Verwundung würde Michael an seine Hochzeitsnacht so herangehen wie an alles andere. Er würde sich eine Strategie zurechtlegen, deren Ziel es war, seinen Gegner zu entwaffnen, zu bezirzen und schließlich zu erobern.
Er plante stets jeden Schritt im Voraus, und gewöhnlich war dieses Vorgehen überaus erfolgreich.
Zumal er selten scheiterte, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Vielleicht konnte man sogar sagen, dass er niemals scheiterte. Den Frauen gefiel an Michael nicht nur sein kultiviertes Auftreten, sein gutes Aussehen und sein Reichtum, sondern auch diese unbeschreibliche Aura von dezentem Selbstbewusstsein.
Etwas an ihm zog die Frauen an. Sie konnte es nicht in Worte fassen, aber sie erkannte es.
Er war ein Held, und in ihrem bisherigen Leben war sie nur sehr wenigen Helden begegnet …
»Sie liebt ihn nicht. Und Michael kennt das Mädchen kaum.« Sie stieß die Worte hervor. Selbst in ihren Ohren klangen sie schrill. »Als die Trauung vorbei war … Glaubst du, die beiden haben glücklich ausgesehen?« Antonia lehnte den Kopf an die Rückenlehne ihres Sessels. »Was ist das für ein Leben, wenn man nicht aus freien Stücken heiratet?«
»Wären die Franzosen nicht gewesen, hättest auch du einen spanischen Adeligen geheiratet, den dein Vater für dich ausgesucht hätte. In den Familien wie der deinen – und erst recht in der Familie deines so geschätzten Marquess – wird es nun mal so gemacht.« Lawrence wirkte ungerührt und hart. Sein sardonisches Lächeln unterstrich die Kritik. Er ruhte ihr gegenüber in einem Fauteuil direkt vor dem Kamin. Seine Haltung strahlte männliche Anmut aus, und er hatte die langen Beine ausgestreckt und die Stiefel gekreuzt. Das weiße Hemd stand am Hals offen und gewährte ihr einen v-förmigen Blick auf seine gebräunte Haut. »Wie viel leichter ist es doch, wenn man ein Bauer wie ich ist. Niemanden kümmert es, ob meine Blutlinie fortgesetzt wird. Von mir verlangt keiner, mich zu vermehren, damit meine Familie weiterhin fest im Sattel bleibt und nicht die Stellung und das Vermögen verliert, die ihr Name mit sich bringt.«
»Wie vulgär das klingt, wenn du es so ausdrückst.«
»Nichtsdestotrotz ist es sehr wahr.«
Er hatte insofern recht, dass ihre Ehe ebenso arrangiert worden wäre wie die von Michael. Aber sie war nicht in der Stimmung, das zuzugeben. Sie verfluchte Lawrence im Stillen, weil er recht hatte, und verflucht sollte er auch sein, weil sein Verständnis sie wütend machte. Es hatte eine Zeit gegeben, da sie nicht ganz sicher gewesen war, welches Motiv ihn antrieb. Aber sie hatte immer gewusst, dass er sich im Hintergrund hielt und dort auf sie wartete.
Schonungslos fuhr er fort: »Du hättest nicht zu seiner Hochzeit gehen sollen. Du hättest vor allem nicht bleiben sollen, nicht tanzen und erst recht nicht so tun, als wärst
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