Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
und schob die Vorhänge beiseite. Sie starrte in die Dunkelheit. Eine schmale Mondsichel beleuchtete die Dächer der umliegenden Häuser, und die Fensterscheiben wirkten wie schwarze Augen.
Zwei Tage.
Sie sollte in zwei Tagen heiraten.
Ein ängstlicher Schauer rann über ihren Rücken. Zwar wusste sie schon seit Langem, dass sie eines Tages den Marquess of Longhaven heiraten würde. Aber übermorgen klang plötzlich bedrohlich.
Vielleicht hatte sie, so lange sie denken konnte, den Umstand dieser baldigen Hochzeit als vollendete Tatsache akzeptiert. Aber was sie nicht erwartet hatte, war der Umstand, dass ihr Bräutigam nun ein anderer war. Wenn Harry noch lebte, wäre sie wohl nicht so nervös.
Harry. Sein fröhliches Lächeln und seine Neckereien fehlten ihr …
Ein leises Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. »Ja?«
Die Tür öffnete sich, und eine männliche Stimme knurrte: »Noch wach? Ich sah Licht unter der Tür. Was, um alles in der Welt, machst du noch um diese Zeit?«
»Ich könnte dich dasselbe fragen«, bemerkte sie trocken. Ihr älterer Bruder betrat ihr Zimmer. Der intensive Geruch nach Brandy und Tabak umgab ihn wie eine Wolke, und irgendwann im Laufe des Abends hatte er seine Krawatte abgelegt. Er sah etwas zerzaust aus und kam für seine Verhältnisse ziemlich spät heim. Es war nicht schwer zu erraten, wo er gewesen war. Wie so oft fiel ihr unangenehm auf, welche Diskrepanz zwischen den Freiheiten, die sich Männer herausnehmen konnten, und der ständigen Bewachung der Frauen bestand. Scharf bemerkte sie: »Wenigstens bin ich schon bereit, ins Bett zu gehen, und stolpere nicht durchs Haus.«
»Ich bin nicht gestolpert.«
»Dann bist du schon wieder etwas nüchterner?«
»Vielleicht«, gab er ehrlich reumütig zu und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er runzelte die Stirn. »Ich habe während des Kartenspiels die Zeit vergessen, und es stimmt, es gab wohl mehr als ein Glas Brandy für mich heute Abend. Wie lautet deine Entschuldigung, warum du nicht längst schläfst?«
»Ich habe … bloß nachgedacht.«
»Aha. Bammel vor der Hochzeit?« Malcolm ließ sich auf einem mit Seidenstoff bespannten Stuhl nieder. Es sah ein bisschen lächerlich aus, wie dieser große Kerl im dunklen Abendanzug in dem weiblich anmutenden, pfirsichfarbenen Stuhl saß. »Ich habe Longhaven am Abend im Club gesehen. Er wirkte vollkommen ruhig, wie man ihn kennt. Überhaupt nicht nervös. Oder er zeigt es einfach nicht.«
Sie war nicht sicher, ob ruhig der richtige Ausdruck war, um ihren Verlobten zu beschreiben. Ruhig war zu einfach. Kontrolliert würde besser passen. Etwas an ihm wirkte so, als würde sich unter dieser glatten, fast ungerührten Oberfläche noch mehr verbergen. Etwas Intensives, das sie nicht genau benennen konnte.
»Gut für ihn«, meinte sie und seufzte leise. »Ich wünschte mir bloß, wir wären einander nicht so fremd. Harry kannte ich wenigstens.«
»Er war ein guter Kerl«, bemerkte ihr Bruder bedauernd. »Eine verfluchte Schande, dass er nicht mehr lebt.«
Malcolm war wirklich nicht mehr ganz nüchtern, denn sonst hätte er nicht in ihrer Gegenwart geflucht. Aber sie stimmte ihm insgeheim zu, auch wenn sie seine Wortwahl nicht guthieß.
Ja, sein Tod war wirklich eine Schande. Ein Zufall, eine Besonderheit – denn gewöhnlich starb ein ansonsten gesunder Mann im Alter von siebenundzwanzig Jahren nicht innerhalb weniger Stunden, nachdem er anfangs nur über Schmerzen in der Brust geklagt hatte. Seine Eltern, der Duke und die Duchess of Southbrook, waren am Boden zerstört gewesen. Augenblicklich hatten sie ihren jüngeren Sohn nach Hause beordert, der zu dem Zeitpunkt auf der iberischen Halbinsel gegen die Franzosen gekämpft hatte. Es war schwer zu sagen, ob er pflichtbewusst seinen Auftrag ausgeführt oder gehorsam nach Hause zurückgekehrt wäre. Der Krieg hatte ihm die Entscheidung abgenommen, da er endlich aufhörte.
Michael Hepburn war also heimgekehrt und hatte den Platz seines älteren Bruders eingenommen. Er übernahm seinen Titel, seine Stellung als Erbe eines Herzogtums – und seine Verlobte. Beider Eltern hatten auf der Verbindung bestanden. Die Verlobung von Julianne und Harry war zu dem Zeitpunkt noch nicht offiziell verkündet gewesen, und der Ehevertrag war zwischen ihr und dem Marquess of Longhaven geschlossen worden, weshalb man die Dokumente nicht mal umschreiben lassen musste.
Julianne hatte mit ihrem Vater hitzig über diese neue Wendung diskutiert. Die fünf
Weitere Kostenlose Bücher