Eine Hexe mit Geschmack
Unterlippe.
»Wenn ich morgen meinem Schicksal
begegne, Wyst, werde ich es freudig begrüßen und nichts bereuen. Bis auf eines.
Es sei denn du hältst es für richtig, mir einen letzten Gefallen zu gewähren.«
»Ich kann nicht.«
Ich legte einen Finger an seine
Lippen. Die Laternen verdunkelten sich.
»Es sind nur Worte, Wyst. Sie
sagen viel und bedeuten nichts. Leere Silben, die geflüstert werden, mehr sind
sie nicht. Wenn du mir und deinen eigenen Wünschen - aber ohne ihre Hilfe -
widerstehen kannst, dann gehe ich.«
Er fuhr mit den Fingern durch mein
Haar und lächelte sanft. »Ich kann nicht...«
»Keine Worte.«
Wir kamen uns näher.
»Aber ...«Er klang wie ein
Verdurstender.
Ich legte meine Hände an seine
Brust und spürte das Hämmern seines Herzens. Die Wärme seiner Haut versengte
meine Handflächen. Seine Hand glitt meinen Hals hinab und ließ das Kleid von
meinen Schultern gleiten. Ich rieb meine Wade an seinem Schenkel. Seltsam, wie
natürlich das alles war. Als hätte ich es bereits tausendmal getan.
Wir küssten uns. Ich konnte mich
nicht erinnern, wer angefangen hatte. Wir taten es einfach plötzlich. Mein
Magen knurrte. Das Tier in meinem Inneren wollte seine Zunge abbeißen. Ich
konnte den Strom verknäuelter Venen in seiner Kehle spüren, die förmlich darum
flehten, herausgerissen zu werden.
Ich zog mich zurück, und nun war
es an ihm, verwirrt zu sein. »Ich muss dich warnen. Es könnte sein, dass ich
dich töte.«
Ich reichte ihm das Messer.
»Wenn du das Gefühl hast, du musst
es tun, dann stich mir diese Klinge ins Herz und rette dich.«
Das Messer schepperte auf den
Boden. Er nahm mich in die Arme, küsste meinen Hals und flüsterte mir sanft ins
Ohr.
»Manche Dinge sind das Risiko
wert.«
SIEBENUNDZWANZIG
Wysts Blut schmeckte sogar noch
süßer als ich erwartet hatte.
Ich genoss einen Tropfen davon,
gewonnen in einem Augenblick, als mich meine Leidenschaft und fleischfressende
Lust unvorbereitet erwischt hatten und ich zu fest an seinem Ohr geknabbert
hatte. Es blieb jedoch die einzige Entgleisung. Obwohl mir auf dem Höhepunkt
unserer Entzückung Visionen von zerrissenem Fleisch durch den Geist blitzten.
Die sinnlichen Freuden besiegten meinen Appetit. Größtenteils.
Wyst legte eine Hand auf meinen
knurrenden Magen. Die Dunkelheit seiner Finger auf meiner Alabasterhaut schien
mir der vollkommene Widerspruch zu sein. An der Oberfläche waren wir so
verschieden und uns dennoch so gleich.
»Bereust du es?«, fragte ich. »Den
Verlust deiner Tugend?«
Er legte mir seine Finger unters
Kinn und hob mein Gesicht zu seinem herauf. »Wenn ich es bereuen würde, hätte
ich nach dem ersten Mal aufgehört. Und meine Tugend ist nicht verloren, nur
meine Keuschheit.«
Seine Lippen berührten meine
Stirn. Ich küsste ihn, und meine Hand tanzte seinen Oberschenkel hinab.
»Noch einmal? Du wirst mich
wirklich umbringen!«
Ich lächelte. Er wusste nicht, wie
recht er hatte. Mit meinem Fluch konnte ich genau das tun. Ich konnte ihn in
diesem Bett festhalten und sein Feuer wieder und wieder anfachen, bis der
letzte Tropfen seines Lebens verbrannte. Diese Gefahr war jedoch noch weit
entfernt. Wyst war ein gesundes Exemplar und besaß genug Ausdauer, um eine oder
zwei Wochen in meiner gefährlichen Umarmung zu überleben.
Ich glitt über ihn und knabberte
an seiner Unterlippe. Er schlang seine Arme um mich und presste mich fest an
sich. Mein Magen brüllte, er ließ sich nicht länger vernachlässigen. Ich
brachte zum Glück die Stärke auf, mich wegzurollen. Es war leichter zu wissen,
dass er noch da sein würde, wenn ich zurückkam. Ich zog mein Kleid über und
zögerte an der Tür, um ihn noch einmal dort liegend anzusehen. Mehr hätte mich
zu sehr in Versuchung geführt.
Penelope wartete im Flur. Sie
sagte nichts, auf ihre unausgesprochene Art. Aber sie spähte in den Raum, um
sicherzugehen, dass Wyst noch am Leben war. Mein Schatten tanzte an den Wänden
entlang. Er wirbelte da so ausgelassen herum, dass meine Füße oft spielerisch
über die Decke tollten.
Unten schlief Gwurm am Feuer. Die
Füchsin döste in seinem Schoß. Molch saß am Tisch, in abgenagte Entenknochen
geschmiegt. Er hob den Kopf und runzelte die Stirn.
»Da du nicht blutbeschmiert bist,
nehme ich an, dass du ihn nicht getötet hast.«
»Tut mir leid, dich zu
enttäuschen.« Ich setzte mich und tat mich an sämtlichen Stücken rohen
Fleisches gütlich, die ich finden konnte. Ich war hungriger, als
Weitere Kostenlose Bücher