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Eine Hexe mit Geschmack

Eine Hexe mit Geschmack

Titel: Eine Hexe mit Geschmack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Lee Martinez
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Meinung?«
    »Ja.«
    Er blinzelte in die Sonne.
»Seltsam. In all den Jahren hat mich die Herrin nie nach meiner Meinung zu
irgendetwas gefragt. Es hieß immer >Molch, tu dies<, >Molch, hol mir
das<, >Molch, such meine Wollsocken<. Aber nicht einmal hat sie mich
um Rat gefragt.«
    »Du bist jetzt mein Vertrauter,
und ich frage dich danach.«
    Er rieb sich den Schnabel mit der
Spitze eines seiner Flügel. »Ich weiß nicht. Lass mich einen Moment drüber
nachdenken.«
    Wir gingen um den See und stiegen
die Hügel hinauf, immer in dem Wissen, dass mich jeder Schritt einer
Entscheidung näher brachte, zu der ich mich jedoch kein bisschen bereiter
fühlte als zuvor.
    »Ich würde nach Westen gehen«,
sagte Molch schließlich.
    »Das ist keine der
Wahlmöglichkeiten.« »Genau.«
    Ich bekam eine Ahnung davon,
weshalb ihn die Grausige Edna nie nach seiner Meinung gefragt hatte.
    »Aber so bin ich eben«, sagte er.
»Ich bin zum Teil Dämon, und Dämonen mögen es nicht, wenn man ihnen sagt, was
sie tun sollen. Also haben sie großen Spaß daran, einfach aus Prinzip dagegen
zu sein.«
    »Ich bin aber kein Dämon. Nicht
mal zum Teil.«
    »Wohl wahr. In diesem Fall würde
ich, selbst wenn ich nicht zum Teil Dämon, sondern eine Hexe und in deiner Lage
wäre, denke ich, alles abwägen und dann nach Osten gehen.«
    »Irgendwelche Gründe dafür?«
    »Es scheint mir eine einfache
Entscheidung zu sein. Im Norden wirst du das Glück finden. Nichts gegen Glück,
und es gibt auch keine Regel, die besagt, dass Hexen unglücklich sein müssen.
Aber letztlich ist es kein hexenhafter Grund dafür, etwas zu tun. Im Osten hast
du die Chance, deine Herrin zu rächen. Rache. Das ist doch mal ein richtiger,
hexenhafter Beweggrund.«
    »Oder ein entsetzlicher Tod«,
fügte ich hinzu.
    »Genau. Ein entsetzlicher Tod
scheint mir ein Ziel zu sein, das jede Hexe anstreben sollte. Eigentlich finde
ich, die Leute sind ohnehin zu nachlässig, wenn es um ihren Tod geht. Es ist die
letzte Tat ihres Lebens. Ich würde ein denkwürdig grauenhaftes Ableben
jederzeit einem langen, langweiligen Leben vorziehen. Frag einfach den
Aufgespießten Bob.«
    »Wen?«
    Molch hüpfte vor mich hin, drehte
sich dann und ging rückwärts. Eine bemerkenswerte Leistung für eine Ente. »Hast
du nie vom Aufgespießten Bob gehört?« »Nein.«
    »Er war Soldat. Hat irgendwo in
irgendeiner Schlacht gekämpft. Keiner kann sich mehr erinnern, wer da gegen wen
gekämpft hat. Ich weiß nicht mal etwas über das Leben des guten Bob. Abgesehen
davon war es seine erste richtige Schlacht. Ein kleines Scharmützel ohne
wirkliche Bedeutung. Die Art, die ständig wegen Landrechten oder der Ehre einer
Maid oder wegen irgendeiner anderen Trivialität ausbricht.«
    Er wedelte mit einem Flügel. »Wie
schon gesagt. Unwichtig. Dieser Bob ist also einfach ein junges Frontschwein,
einer von Dutzenden von Jungs, die sich gegenseitig umbringen wollen. Aber Bob
ist eifrig, er will an der Spitze des Kampfes stehen. Als wäre er ein großer
Held oder so ein Quatsch. Er ist sogar so enthusiastisch, dass er, als der
Hornist den Ruf zum Sammeln bläst, denkt, es sei der Ruf zum Angriff. Also
stürmt er aufs Feld, ganz allein, und er ist so erpicht darauf, seine Feinde
abzuschlachten, dass er es nicht einmal merkt, bis er fast dort ist.«
    »Was ist dann passiert?«
    »Es waren militärische Männer, mit
großem Glauben an maßlose Gewalt. Also geht ein Pfeilregen auf Bobs Kopf
nieder, und er wird gründlich durchlöchert. Durchbohrt aus allen möglichen
Winkeln und auch aus zwei oder vier ganz unmöglichen Winkeln. Fällt auf der
Stelle tot um.«
    »Und der Kampf?«
    »Wer weiß? Wen interessiert's? Von
allen Männern, die auf diesem Feld der Ehre kämpften, inmitten all der
Tapferkeit und blutgetränkten Grausamkeit, erinnert man sich nur an den
Aufgespießten Bob. Nicht, weil er ein großer Held war. Nicht, weil er gut
kämpfte. Nicht einmal wegen seines tollkühnen Mutes. Sondern weil er weise
genug war, auf denkwürdige Art zu sterben.«
    Molch schlug mit den Flügeln und
übersprang ein paar Schritte. »Verstehst du, was ich damit sagen will?
Offensichtlich war Bob nicht allzu helle. Wäre er nicht gestorben, wie er es
tat, hätte er zweifellos ein vollkommen eintöniges Leben gelebt, kaum der
Erinnerung wert. Aber jetzt ist er berühmt. Er ist sogar unsterblich.«
    »Ich habe nie von ihm gehört«,
bemerkte ich.
    »Jetzt schon! Und eines Tages
wirst du es jemand anderem erzählen, und so wird

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