Eine Hexe mit Geschmack
es nicht tun zu müssen. Jeder Sieg hat seinen Preis, und dies
war meiner. Ich nahm Wyst beiseite, dorthin, wo uns die anderen nicht hören
konnten. Zwischen uns hatte sich nichts verändert, aber alles andere hatte es
getan.
»Ich wollte dir böse sein.« Er
nahm meine Hand. »Aber du hast mir das Leben gerettet.«
Ich lächelte. »Nein. Du hast
meines gerettet.«
Er nahm mich in die Arme. Es
fühlte sich so richtig an, so vollkommen, aber es durfte nicht sein.
»Wyst...«
Er hielt mich fester. »Wir sind
füreinander bestimmt.«
Es war ein romantischer Gedanke.
Nichts weniger hätte ich von einem weißen Ritter erwartet. Gewiss hatte uns
eine Macht, auf die wir keinen Einfluss hatten, zusammengebracht. Ihr Name war
Grausige Edna gewesen. Aber eine andere Macht hielt uns getrennt, und ihr Name
war Fieser Larry.
»Ich lasse dich nie wieder los«,
flüsterte er.
Ich horchte auf seinen Herzschlag.
Jedes Pulsieren seiner Venen konnte ich spüren, jeden Blutschwall. Seine
Umarmung war eine wundervolle Phantasie, ich genoss sie noch einen Augenblick
länger. Dann schob ich ihn von mir. Er konnte mich nicht halten. Ich war viel
stärker als er.
Ich wollte meine Augen verbergen,
sah ihm aber ins Gesicht. »Wir sind, was wir sind, Wyst. Wir können nichts
anderes sein.«
»Ich kann es.«
»Nein, das kannst du nicht. Du
bist ein Kämpfer der Gerechtigkeit, und diese Welt braucht dich viel mehr als
ich.«
Er legte eine Hand auf meine
Schulter. »Diese Welt wird sehr gut ohne mich klarkommen.«
»Das hier kann nur böse enden,
Wyst. Ich bin verflucht. Mein Appetit wächst mit jedem Tag. Eines Tages,
vielleicht schon morgen, vielleicht in einem Jahr, werde ich dich auffressen.
Oder du wirst gezwungen sein, mich zu töten.«
»Ich könnte dich nie töten!«
»Ich weiß. Deshalb darf es auch
nicht sein.« Ich legte ihm eine Hand an die Brust, um ihn davon abzuhalten,
mich an sich zu ziehen. Es war schwerer, als ich es mir vorgestellt hatte.
»Eines Tages würde ich dich töten, und dann würde ich zu all dem werden, was
mein Fluch je wollte.«
Wyst hob mein Kinn. »Das würdest
du nicht.«
»Doch. Es sei denn, du versprichst
mir, mich zu töten, wenn die Zeit kommt.«
Er schloss die Augen. »Ich könnte
es schon. Wenn ich es müsste.«
»Wenn ich dir das nur glauben
könnte.« Ich küsste ihn auf die Wange. »Du hast mir ein wundervolles Geschenk
gemacht, aber selbst wenn du ändern könntest, wer du bist, wäre ich immer, wer
ich bin.«
Die Wahrheit schmerzte wie ein
gezackter Dorn. Ich wollte glauben, dass er mich töten würde. Ich wollte
glauben, dass ihn zu fressen nicht so schlimm wäre. Aber ich war eine zu gute
Hexe, um Lügen zu glauben.
Wyst waren die Argumente
ausgegangen. Ich vermutete, er hatte wie ich gewusst, dass dies der einzige Weg
war, wie es enden konnte. Auch wenn er es vielleicht leugnete, Wyst war mit
Leib und Seele ein weißer Ritter, und weiße Ritter definieren sich über ihre
Opfer.
»Es gibt in dieser Welt keinen Ort
für uns. Nur in diesem Phantomkönigreich, das jetzt nicht mehr existiert.« Ich
nahm seine Hand und gab ihm mein schäbiges Eichhörnchenfell. »Dies war ein
Geschenk von der ersten Person, die mir je etwas bedeutet hat. Ich gebe es an
dich weiter. Damit du dich an mich erinnerst.«
Das Fell roch nach Staub, der
größte Teil war abgeschabt. Wyst rieb es mit einem sanften Lächeln zwischen
seinen Fingern.
Und dann küsste ich ihn ein
letztes Mal. Eine sanfte Berührung mit geschlossenen Lippen. Etwas mehr, und
keiner von uns beiden wäre überhaupt noch in der Lage gewesen zu gehen.
Er wollte etwas einwenden, eine
Rechtfertigung finden, irgendeine verborgene Wahrheit, die dies möglich machen
würde. Ich begehrte ihn genauso verzweifelt, aber selbst alle Magie dieser Welt
konnte uns nicht zusammenhalten. Es war schwer, doch wir beide hatten uns auch
früher schon schwierigen Wahrheiten stellen müssen. Und wir würden in Zukunft
sicher auch noch weiteren begegnen. Aber hoffentlich lange Zeit keiner so
schweren wie dieser, hoffte ich.
Er schloss die Augen und atmete
sanft ein. »Ich werde dich immer lieben.«
»Ich weiß.« Ich wandte mich ab.
»Ich werde dich auch immer lieben.« Es war ein Wispern, doch er hörte es.
»Warte.« Wyst aus dem Westen stand
aufrecht und unergründlich, mit jeder Faser der sture weiße Ritter. »Ich möchte
dir etwas geben.«
»Du hast mir schon genug gegeben.«
Unsere Blicke trafen sich zum
letzten Mal. Keiner von uns lächelte.
Weitere Kostenlose Bücher