Eine Hexe mit Geschmack
Hexe. Da kommt ans Licht, was du wirklich
bist. Ein Wesen von Kraft und Stärke. Spürst du das Strömen in deinem untoten
Herzen, wenn du deinen Fluch anrufst? Siehst du jetzt, dass all deine Magie nur
eine Lappalie ist? Eines Tages wird sie dich im Stich lassen. Aber dein Fluch
wird immer für dich da sein. Für mich.«
Der Ghoul schoss schneller zur
einen Seite als ich folgen konnte. Kratzende Krallen rissen mein Gesicht auf.
Ich hob eine Hand, um mich zu verteidigen, aber sie duckte sich weg. Ihre erste
Attacke war eine Finte gewesen. Sie war schneller, als sie sich anmerken ließ.
Eine Faust schmetterte in meinen
Rücken und hieb die Luft aus Lungen, die eigentlich keine Luft brauchten.
»Überrascht, Hexe? So schnell du auch bist, so tödlich du auch bist, ich bin
noch wesentlich tödlicher.« Sie klammerte sich an meine Kehle und drückte zu,
bis mehrere Rückenwirbel krachten. »Ich bin deine körperliche Kraft, bis zum
Äußersten entwickelt. Neben mir bist du ein Weichling. Und wo ist deine Magie
jetzt?« Sie ließ mich ins Gras fallen.
Ich setzte mich auf. Mein Atem
ging stoßweise. Mein Gesicht war blutbeschmiert und eine furchtbare Wut grollte
in meinem Inneren.
»Du kannst es nicht verleugnen. Du
willst ich sein, die Sicherheit spüren, die ich besitze. Du willst deine
Bestimmung fraglos kennen. Du willst verführen und töten und dich an
schmackhaftem sterblichem Fleisch gütlich tun. Dein Gewissen ist deine Qual. Es
ist eine Bürde, die ich nicht besitze, eine Bürde, die loszuwerden du dich
sehnst.«
Ich war in Versuchung, und ich
spürte, wie meine Realität in den Ghoul einsickerte. Ihr düsterer Körper
verfestigte sich, während meiner dunkler wurde. Ich konnte sie jetzt sehen.
Wirklich sehen. Sie war eine hässliche Kreatur, genauso makellos wie ich, aber
es gehört mehr zur Schönheit als volle Brüste und grüne Augen. Ihre Bewegungen
waren ruckartig, ihre Augen voll von teuflischem Hunger. Ihre Lippen blieben zu
einem ständigen Zähnefletschen verzogen, selbst wenn sie grinste. Ihr Haar war
ein schimmerndes, schwarzes Gewirr, das ihr wie ein Umhang über den Rücken
fiel.
Ich fuhr mir mit den Fingern über
meine stechenden Fingerknöchel und das geschundene Gesicht. Es lag Wahrheit in
ihren Worten, aber es war eine kleine Wahrheit.
»Mein Gewissen ist meine Bürde,
doch alle erstrebenswerten Gaben haben ihren Preis.«
Sie schauderte. Der Strom der
Existenz kehrte sich um und sie verblasste.
»Aber es könnte so einfach sein«,
zischte der Ghoul. »Warum an etwas festhalten, das dir nur das Leben
erschwert?«
»Weil das Leben kompliziert und
schwierig ist. Jeder, der etwas anderes behauptet, hat nicht wirklich gelebt.«
Sie schmolz in die Erde, aber
nicht ohne ein letztes Keuchen. »Ich komme wieder. Niemand kann seiner Natur
ewig widerstehen.«
Das bestritt ich ja gar nicht. Es
zu tun wäre auch arrogant gewesen, und Arroganz wäre der erste Schritt in
Richtung ihrer Prophezeiung gewesen.
»Eines Tages, Hexe, wirst du
aufwachen und feststellen, dass ich du geworden bin.«
»Vielleicht eines Tages. Aber
nicht heute Nacht.«
Der Ghoul verblasste zu einem
schwarzen Fleck auf dem Boden.
»Sie hatte nie eine Chance«, sagte
die Frau.
»Sie hatte eine Chance.« Meine
Wunden verschwanden. Sie waren ohnehin nie real gewesen. »Nur keine besonders
große.«
Die Frau trat vor mich hin. »Ich
dagegen habe bereits gewonnen.«
»Ich weiß.«
Der Strom rauschte in die Frau
hinein. Meine gestohlene Substanz füllte sie aus. Sie war ein hübsches Wesen,
nicht ganz so schön wie ich. Aber ich konnte mich selbst in ihrer etwas
plumperen Gestalt und den sanften, braunen Augen erkennen.
Sie senkte den Kopf. »Es tut mir
leid.«
»Du nimmst nur, was ich dir
anbiete.«
Es war seltsam. Ich lieferte mich
ihr nicht aus, weil ich hasste, was ich war oder weil Sterblichkeit ein so
verführerisches Schicksal war. Ich mochte es, eine Hexe zu sein, und ich hatte
mich auch längst an meinen Fluch gewöhnt. Er versagte mir wenig. Nichts als den
einen Wunsch, den ich allerdings nicht länger ignorieren konnte.
»Er wird mich nicht lieben«, sagte
sie. »Ich mag zwar du sein, aber ich bin nicht das Du, das er kennt.«
Das stimmte, änderte aber nichts.
Ich liebte Wyst - und mein Herz phantasierte, dass er mich als Frau
wiederlieben konnte. Es war ein unwahrscheinlicher Traum. Selbst wenn ich nicht
untot gewesen wäre, war er immer noch ein weißer Ritter. Träume gründen selten
auf Wahrheit, und
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