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Eine Hexe mit Geschmack

Eine Hexe mit Geschmack

Titel: Eine Hexe mit Geschmack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Lee Martinez
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streicheln. Es zog den Kopf weg. »Hallo.«
    Das Pferd schnaubte.
    »Habe ich etwas getan, das dich
verärgert hat?«
    Es trottete ein paar Schritte
davon und wandte den Kopf, um mich mit einem braunen Auge anzusehen. »Du bist
eine Hexe. Das allein sollte schon genügen.«
    »Ah, du magst also keine Hexen.«
    Es schnalzte seinen Schweif in
meine Richtung. »Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen sie, aber ich bin das
treue Ross eines weißen Ritters. Es erscheint mir nicht richtig, mit einer Hexe
zu sprechen, selbst wenn es sich um eine größtenteils harmlose handelt.«
    Ich ging einen weiten Bogen, um zu
seiner Vorderseite zu gelangen, ohne ihm aber zu nahe zu kommen. »Bin ich
größtenteils harmlos?«
    »Habe ich größtenteils gesagt?«
Das Pferd schmatzte mit seinen schlaffen Lippen. »Ich meinte weitgehend.«
    »Gibt es da einen Unterschied?«
    Es schloss die Augen und trat ins
Gras. »Lass mich in Ruhe. Ich versuche zu schlafen.«
    »Wie du willst.« Ich wandte mich
ab.
    »Du wirst sein Ende sein, und er
war so ein guter Kämpfer.«
    Ich blieb stehen. »Ich würde ihm
nie Schaden zufügen.«
    Das Pferd kicherte wiehernd und
freudlos. »Du hast ihm bereits Schaden zugefügt. Du hast ihn auf den Weg hinab
in die Verdorbenheit geschickt. Wenn ein weißer Ritter erst einmal diesen Weg
abwärts nimmt...«
    Ich senkte den Kopf. »Ich hatte nie
vor ...«
    »Was du vorhattest, ist kaum
relevant. Was hast du in diesem Keller mit ihm gemacht?«
    »Nichts.« Ich flüsterte, um die
Lüge abzumildern.
    Das Pferd trottete hinter mich und
stupste mich an die Schulter. »Es ist nicht deine Schuld. Ich weiß, du kannst
nicht mehr für deine Gefühle als er. Deshalb geschieht es auch. Glaubst du, du
bist die erste Versuchung, die uns begegnet ist? Es gab andere. Mehr als du
zählen kannst. Wyst hat mehr als genug hübsche Verehrerinnen abbekommen.
    Warum auch nicht? Er ist
rechtschaffen und tapfer, gut aussehend und auch galant, also alles, was sich
eine Frau wünschen mag. Aber all die anderen liebten den Ritter -und nicht den
Mann. Du bist da anders. Du siehst ihn, wie niemand zuvor es tat, und er sieht,
dass du es siehst. Wie kann man jemanden nicht lieben, der einen dafür liebt,
wer man wirklich ist? Vor allem jemand, der schöner ist als all die anderen
zusammen.«
    Ich streckte die Hand aus und
streichelte das Pferd zwischen den Augen. »Ich wollte nicht, dass das
geschieht.«
    »Er auch nicht, aber es ist
geschehen. Und es wird geschehen.«
    »Vielleicht nicht.«
    Es streckte seine Zunge heraus.
»Ich bin schon sehr lange sein enger Gefährte. Ich kenne Wyst besser als alle
anderen. Manchmal sogar besser, als er sich selbst kennt. Er ist jetzt draußen
in den Feldern, meditiert und ringt damit, seinen Geist von diesem Verlangen zu
reinigen. Sie lehren weiße Ritter, ihre niederen Wünsche zu unterdrü-cken. Aber
selbst ein großer Ritter wie Wyst kann seine Liebe nicht unterdrücken.«
    Meine Überraschung war so groß,
dass selbst eine lebenslange Hexenschulung sie nicht hätte verbergen können.
Mit offenem Mund trat ich von dem Pferd zurück.
    »Er liebt mich?«
    Das Pferd schüttelte den Kopf.
Seine Lippen verzogen sich zu einem bitteren Grinsen. »Ziemlich. Mehr als
selbst er es ahnt.«
    Ich kämpfte damit, meine Aufregung
zu zügeln und schaffte es auch größtenteils. Die einzige Spur meiner Freude
zeigte sich als sanftes Lächeln und in spontan zu meinen Füßen sprießenden
Sonnenblumen.
    »Liebst du ihn?«, fragte das
Pferd.
    Ich antworte ohne Zögern. »Ja.«
Ein Paar silberner Schmetterlinge materialisierte in meiner Handfläche. Ich
entließ sie mit einer Bewegung meiner Hand in die Luft.
    »Das war's dann«, seufzte das Pferd.
»Er ist verloren.«
    »Ich würde ihm aber nie Schaden
zufügen.«
    »Es gibt wesentlich mehr
Verhängnisse als nur den Tod. Ein weißer Ritter, der von der Liebe berührt
wird, ist ruiniert. Danach kann er nicht mehr zu einem Leben der Tugend
zurückkehren.«
    »Du verstehst mich nicht. Ich bin
verflucht. Ich kann ihn nicht lieben, nicht, wie eine sterbliche Frau einen
Mann liebt.«
    Das Pferd knabberte gereizt am
hohen Gras. Es kaute einen Mundvoll und spuckte es dann wieder aus. »Du kannst.
Und du tust es.«
    Ich wollte widersprechen. Mehr als
alles wollte ich das Pferd in dieser Meinung korrigieren, aber alles, was ich
sagen konnte, wäre eine Lüge gewesen. Da keiner von uns eine Unwahrheit
geglaubt hätte, die ich vorbringen konnte, machte ich mir gar nicht erst

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