Eine hinreißend widerspenstige Lady
korrigieren. Das Mädchen würde nicht verstehen, was sie meinte, war es hier doch ganz normal, dass jede Frau einem Mann gehörte. Außerdem wollte Daphne die Diener nicht dazu ermutigen, unnötig über die Beziehung zwischen ihr und „dem Herrn“ zu spekulieren.
Das Verhältnis europäischer Männer zu ihren Frauen befremdete viele Ägypter ohnehin, wenngleich die meisten es mit philosophischem Gleichmut nahmen. Umgangsformen, die in Ägypten als unschicklich angesehen wurden, erklärten und entschuldigten sie zumeist mit einem: „So ist es eben ihre Sitte.“
Die Bootsmannschaft und die Diener wussten indes sehr genau darüber Bescheid, dass Daphnes Dienerin die Kabine mit ihr teilte, dass Tom die des Herrn teilte und dass die Kabine, die Nafisah und Sabah sich mit verschiedenen Gepäckstücken und Vorratskisten teilten, zwischen ihrer beider Kabinen lag.
Wenn sich daran etwas änderte, würde jeder an Bord davon wissen. Daphne war sich nicht sicher, ob die Männer sie deshalb gering schätzen oder dieses neue Arrangement als weitere fremde Sitte akzeptieren würden. Sie zweifelte hingegen nicht daran, dass auch Miles früher oder später davon erfahren würde.
In England hatte sie sehr zurückgezogen gelebt, und was andere von ihr dachten, hatte sie wenig gekümmert. Einen Skandal hätte sie dennoch nie riskiert. Außer Miles hatte sie niemanden mehr. Sie konnte ihrem Bruder keine Schande bereiten.
Was in Assyut geschehen war, ermahnte sie sich während des Ankleidens, musste Anfang und Ende aller Vertraulichkeit mit Mr. Carsington gewesen sein. Eine Weile waren sie der Welt und deren Regeln enthoben gewesen. Doch jetzt waren sie zurück in der Welt und mussten nach den Gesetzen der Gesellschaft leben. Statt ihren Wunschträumen nachzuhängen, würde sie sich wieder der Wirklichkeit zuwenden, den Fakten.
Und sie kam zu dem Schluss, dass es für sie und Mr. Carsington keine gemeinsame Zukunft gab. Das war gewiss auch gut so, bedachte man, dass allein außergewöhnliche Umstände zwei Menschen zusammengebracht hatten, die unterschiedlicher gar nicht hätten sein können.
Um ihren Entschluss, ihn auf Distanz zu halten, zu bekräftigen, legte sie wieder ihre Witwenrobe an. Sie sah an sich hinab und musste an den Ausdruck in Mr. Carsingtons Gesicht denken, als er ihre nackten Brüste betrachtet hatte. Sie musste daran denken, wie sie sich an ihn geschmiegt, sich in seine Arme gekuschelt hatte. Es versetzte ihr einen Stich.
Dann schalt sie sich, vernünftig zu sein, und begab sich in die vordere Kabine.
Von ägyptischer Seite wurde sie wie stets in überschwänglicher Manier begrüßt. Tom legte sich die Hand aufs Herz und stimmte eine lange Freudenrede an. Das kleine Mädchen schaffte ein paar wackelige Schritte in ihre Richtung, bevor es auf den Teppich fiel, lachte und vergnügt in die Hände klatschte. Selbst der Mungo kam jäh hereingeschossen und rannte Daphne aufgeregt schnuppernd zwischen den Füßen herum.
Mr. Carsington schwieg und ließ seinen Blick über sie schweifen.
Rasch sah sie wieder hinab auf den Mungo. „Marigold ist ganz schön lebhaft geworden, während ich krank war“, meinte sie. „Und viel umgänglicher.“ Hatte er nun etwa auch die Mungodame um den kleinen Finger gewickelt? Konnte ihm denn nichts und niemand widerstehen? „Aber wo ist ihr geliebtes Hemd abgeblieben?“
„Sie versteckt es“, ließ Mr. Carsington sie wissen. „Heute ist es unter dem Diwan. Manchmal schaut sie nach, ob es noch da ist. Seit ihre Pfote verheilt ist, ist sie äußerst gesellig und unterhaltsam. Mir war nicht bewusst, was Mungos für rege und neugierige Geschöpfe sind. Ständig rennt sie rein und raus, hin und her, erkundet alles.“
Wie zum Beweis rannte sie von Daphne fort und lief ein paar Mal um den Diwan herum. Dann erklomm sie Mr. Carsington, als sei er ein Baum, setzte sich kurz auf seine Schulter, schnupperte an seinem Hals, lief flink wieder hinunter und flitzte aus der Kabine.
Sabah amüsierte sich köstlich und quietschte vor Lachen. Sie stand auf, fiel wieder hin und quietschte noch lauter.
Nafisah eilte herbei, nahm die Kleine auf den Arm und ging mit ihr davon, damit die Herrin in Ruhe frühstücken könne.
Mit gebührendem Abstand zu Mr. Carsington ließ Daphne sich auf dem Diwan nieder.
Lina brachte Gebäck und Früchte. „Warum stehst du hier so untätig herum?“, fuhr sie Tom an. „Wo ist der Kaffee für deine Herrin?“
„Ich vergaß es, so voll ist mein Herz“,
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